12 Jahre sind seit der Erstveröffentlichung des von Kritikern hochgelobten „Shadow of the Colossus“ auf der PlayStation 2 bereits vergangen. Nach der Retexturierung vor 6 Jahren wurde dem Abenteuer eine Rundumerneuerung beschert. Für Kenner*innen die ideale Gelegenheit für eine erneute Stippvisite im verbotenen Land des verbannten Dämons Dormin. Und Neulinge können das Abenteuer nun im zeitgemäßen Look erleben. In Worte gefasst, klingen die Fakten recht banal: Junger Mann mit Pfeil und Bogen, Schwert und Pferd, reist in ein verbotenes Land, soll hier 16 Kolosse besiegen, um eine geliebte Frau von den Toten auferstehen zu lassen. Andere Missionen? Fehlanzeige! Kleinere Gegner, Interaktionspartner, Schatztruhen, Dörfer oder gar Städte? Ebenso. Dennoch handelt es sich um ein emotionales Meisterwerk, das Seinesgleichen sucht.
Ein Hinweis vorab
Dieses Abenteuer will erlebt und gefühlt werden. Interessierte sollten deshalb tunlichst nicht weiterlesen, sondern vielmehr die Konsole anschalten und selbst Hand anlegen. Wer diese Warnung ignoriert, verdirbt sich womöglich eine Erfahrung mit Langzeitwirkung.
Atmosphärisches Erlebnis
Schon in der Intro-Sequenz werden Spielende mit der monumentalen Kulisse konfrontiert. Der junge Wander reitet mit der toten Frau Mono im Gepäck entlang schmaler Bergpfade und über eine gigantische Brücke, die in einem monumentalen Bauwerk mündet.
Im verbotenen Land angekommen, legt er den Leichnam auf den Altar und erhält von einer geisterhaften Stimme den bereits erwähnten Auftrag. Fortan gilt es die Kolosse vorgegebener Reihenfolge zu finden und zu besiegen. Das Schwert empor gereckt weist stets den Weg zum jeweils nächsten Gegner. Durch tiefe Schluchten und finstere Höhlen auf dem treuen Pferd Agro reitend, Berge erkimmend, die Ruinen einer längst vergangenen Kultur und Wälder erkundend, stets die Rettung der Frau und das Besiegen des nächsten Kolosses vor Augen, entsteht eine melancholische, beinahe demütige Stimmung. Abseits von Glühwürmchen und anderen Kleintierchen ist Wander allein mit dem Pferd in der Spielwelt – wären da nicht die Kolosse. Findet man diese in bestimmten Arealen, wechselt die ruhige Erkundung zu spektakulären und taktisch geprägten Actionszenen, die für Nervenkitzel sorgen. Die Kolosse werden ihrem Namen vollends gerecht. Die teils turmhohen Wesen scheinen aus Stein, mit Fell oder Federn geschaffen worden zu sein, sie agieren mal scheu, mal greifen sie beim ersten Blickkontakt an. Die Einen laufen in der Landschaft umher, andere schwimmen im See, wieder andere fliegen durch die Lüfte.
Ein jeder von ihnen bedarf einer speziellen Taktik, um ihn zunächst zu besteigen und schließlich auch zu besiegen. Zunächst gilt es das Verhaltensmuster zu studieren, um dann beispielsweise mit Pfeil und Bogen auf sich aufmerksam zu machen oder in vollem Galopp einen gezielten Sprung zu wagen. Mit Timing und Geschick gilt es das Fell eines Kolosses zu ergreifen, um sich dann in Richtung Ziel zu bewegen. Hierbei handelt es sich um leuchtende Siegel, die mit gezielten Hieben entzwei geschlagen werden müssen. Schüttelt sich der Koloss oder macht ruckartige Bewegungen, erinnert dies an ein rasantes Bullenreiten, bei dem schnell ein sicherer Halt gefunden und die zunehmend schwindende Ausdauer beachtet werden muss. Denn bei Erschöpfung fällt Wander hinab und muss den Aufstieg erneut angehen. In luftiger Höhe während des Fallens mit einer Hand das Fell des turmhohen Kolosses zu ergreifen, ist eine überaus intensive Spielerfahrung, die Spielenden Respekt einflößen kann. Die mal ruhige, mal aufregend gestaltete symphonische Musikuntermalung sorgt stets für zusätzliche Dynamik.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Dieses Remake geht weit über eine Neutexturierung hinaus. Vielmehr wurde das gesamte Spiel neu programmiert und optisch gestaltet. Bemerkenswert ist hierbei die Tatsache, dass der Ablauf, die Kameraeinstellungen, die Kolosse und die Landschaft in Grundzügen originalgetreu umgesetzt wurden und die Änderungen vorwiegend auf technischer und der Detailebene angesiedelt sind. Neben zahlreichen Details wirkt vor allem die Beleuchtung für stimmungsvolle Eindrücke.
Und auch die Kolosse mit ihrer wehenden Behaarung wirken trotz der fiktionalen Gestaltung umso lebensechter. Weiterhin wurde die Steuerung überarbeitet, die sich aber noch immer ähnlich sperrig wie im Original anfühlt. Mit Eidechsen und Früchten gibt es nun Sammelobjekte (Collectibles), die für zusätzliche Lebenspunkte und Ausdauer sorgen.
zwischen Original und Remake
Zudem gibt es den Fotomodus für Bildaufnahmen der stimmungsvollen Kulisse sowie die Möglichkeit, das Abenteuer spiegelverkehrt anzugehen. Und scheinbar brauchen moderne Games Achivements, also Errungenschaften, die Spielende in ihrer Bibliothek auf der Konsole finden. Wird ein Koloss besiegt, flattert eine solche Erfolgsmeldung herein, was irgendwie nicht zum Geschehen und vor allem zum Innenleben des/der Rezipient*in zu passen scheint.
Die Moral von der Geschicht’
Ist ist es tatsächlich ein Erfolg, wenn die magischen Geschöpfe aus Eigennutz besiegt werden? Gerade wenn sie so knuffig aus ihren lebendig wirkenden Augen in die Kamera blicken, kann Mitleid entstehen.
Es entstehen Momente, in denen sich Heroismus und Depression, Glück und Zweifel, Motivation und Resignation auf intensive Weise die Hand reichen und Spielende emotional beschäftigen. Das mulmige Gefühl wird durch die Schatten, welche Wander nach dem Besiegen eines Kolosses wie Speere zu durchbohren scheinen, nur noch verstärkt. Und auch sonst verändert er sich zunehmend. Aufgrund der Linearität bietet „Shadow of the Colossus“ keinerlei Wahlfreiheit oder andere Formen der Einflussnahme.
Die Fanseite „The forbidden Land“ fasst diverse Bedeutungen und Theorien zusammen.
So nimmt die Tragödie ihren Lauf und gipfelt in einem emotionalen Finale, das Spieler*innen damals wie heute mit Fragezeichen vor dem Bildschirm zurücklässt und jede Menge Interpretationsspielraum bietet. Auch die Zusammenhänge zwischen anderen Werken des Schöpfers Fumeto Ueda werden in der Community diskutiert. Denn gleichsam „Ico“ wie auch „The Last Guardian“ weisen inhaltliche und optische Parallelen auf, was zum mehrmaligen Durchspielen und Interpretieren einlädt.
Fazit
Shadow oft he Colossus war und ist ein einzigartiges, tragisches, mal actioneiches, mal melancholisch-ruhiges Abenteuer. Abseits herkömmlicher Videospielkonventionen wie Multiplayermodus, Selbstoptimierungsfunktionen, Schatzkisten und Karte mit eingebautem Navi vermittelt es die Tragik ohne schmückendes Beiwerk, mit wenig Sprache und lädt Spielende zur Interpretation hinsichtlich des Geschehens in der imposanten und monumentalen Spielwelt ein. Hinsichtlich der Ästhetik und einiger technischer Aspekte wurde das Abenteuer angepasst, ohne den zentralen Kern zu verändern. Und das ist auch gut so! Fans müssen selbst entscheiden, ob ihnen der originale Rohdiamant oder dieses auf Hochglanz polierte und etwas clean wirkende Remake besser gefällt.
Autor: Daniel Heinz
Bilder: Sony