Geschichte und digitale Spiele bilden eine komplexe Diskurslandschaft. Im Februar 2018 verdichteten sich interessante Debatten zu dieser Thematik aus unterschiedlichen Perspektiven und zu unterschiedlichen Games. Zudem wurde vom TV-Sender arte eine 10-teilige Online-Doku-Reihe über die Geschichtsbilder von Games mit historischem Grundlagenwissen veröffentlicht, was die Wichtigkeit der Thematik zusätzlich unterstreicht. Anlehnend an die 2. Arbeitstagung des „Arbeitskreises Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele“ werden im Folgenden drei verschiedene Ausformungen des Diskurses dargestellt, nämlich Geschichte von, in und mit digitalen Spielen.
Geschichte von Digitalen Spielen
Das Computerspielemuseum in Berlin bietet eine ständige Ausstellung zur digitalen interaktiven Unterhaltungskultur.
Sei es bei Kathedralen, Skulpturen, Gemälden – bei der Bewahrung und Zugänglichmachung des kulturellen Erbes gilt es mit Bedacht vorzugehen. Bei digitalen Spielen entstehen Herausforderungen hinsichtlich des Urheberrechts, des Datenverlustes, aber auch Diskussionen dahingehend, inwieweit Kulturgüter modernisiert werden sollen und dürfen, um das Erlebnis zeitgemäßer zu gestalten.
Die Debatte betrifft nicht alle populären Titel und deren Remakes, sondern vor allem jene künstlerischen Werke, die aus kulturhistorischer Perspektive als besonders schützenswert erachtet werden. Zwar gibt es keinen Kanon der digitalen Spiele, wie es zum Beispiel bei Literatur oder Film der Fall ist. Dennoch existieren dahingehend informelle Konventionen, wobei die Aufnahme in museale Ausstellungen eines dieser Gradmesser für den kulturellen Wert eines Medienproduktes darstellen kann.
Im Monat Februar erschien das bereits auf Grimme Game besprochene Remake des Spiels „Shadow oft he Colossus“, das in seiner Originalversion Einzug in Ausstellungen wie das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe und auch Smithsonian American Art Museum in Washington erreicht hat und nun in retexturierter und hinsichtlich des Gameplays veränderter Fassung neu aufgelegt wurde.
Während die Fachpresse überwiegend die Tatsache lobte, dass sich die neue Version sehr dicht am originalen Erlebnis orientiere und das Werk nun ein größeres Publikum anspräche, so gab es gleichsam auch Kritik. Beispielsweise stellte der Medienwissenschaftler Christian Huberts die Frage, inwiefern und an welchen Stellen Eingriffe in ein solches Werk zu ästhetischen Konflikten führe und/oder das Ursprungserlebnis verfälsche und plädierte für einen künftig sensiblen Umgang mit solchen künstlerischen Artefakten. Auch der Artikel „The question of fidelity and Shadow of the Colossus“ befasst sich mit der Rezeption der veränderten Version.
Ein Plädoyer für mehr Modernisierung und zeitgemäßere Anpassungen entstand bei der neu erschienenen „Definitive Edition“ des Strategiespiels „Age of Empires“. Hier wurde bemängelt, dass Spielmechanik in Vergleich mit aktuellen Genrevertretern antiquiert wirke und das Spielerlebnis trüben könne. Die beiden Spiele zu vergleichen erinnert zwar nicht nur aufgrund des Genres an das Dilemma mit den Äpfeln und den Birnen. Dennoch stellt sich die Grundsatzfrage, wie mit kulturellen Artefakten umgegangen werden sollte, ob die Schaffung einer Zugänglichkeit für den Mainstream bestimmte Kompromisse rechtfertige oder ob das Spiel vielleicht sogar in verschiedenen Versionen dargeboten werden solle. Zumindest bei „Age of Empires“ ist es möglich, das originale Spielerlebnis im „Klassik-Modus“ und einiger Anpassungen wie einer Veränderung der Bildschirmauflösung wiederherzustellen.
Geschichte in Digitalen Spielen
Historische Kontexte interaktiv erlebbar zu machen hat Tradition. Neben dem bereits benannten „Age of Empires“ bietet auch die rundenbasierte Strategiespielreihe „Civilization“, von dessen 6. Teil im Februar 2018 die Erweiterung „Rise and Fall“ erschien, die Möglichkeit, die Geschicke eines Volkes in einem historischen Setting zu begleiten – angereichert mit einer umfangreichen Enzyklopädie mit Faktenwissen zu Kulturen, Entdeckungen, historischen Persönlichkeiten, Gebäuden, Einheiten, Staatsformen, Religionen und vielem mehr. Aufgrund des Eingriffs der Spielenden entsteht im Prozess allerdings kein originalgetreues Abbild historisch überlieferter Gegebenheiten. Und als Unterhaltungsmedium hat „Civilization“ auch nie diesen Anspruch für sich geltend gemacht. Dies wird auch anhand eines Running Gags deutlich, der durch zahlreiche Memes mit der Bezeichnung „Nuclear Gandhi“ zum Ausdruck kommt. Nämlich der Tradition, dass die als friedliebend bekannte Persönlichkeit in der Spielereihe bei Besitz einer Atomrakete nur allzu gerne von dieser Gebrauch macht.
Die Diskussion um die Abbildung historischer Settings in digitalen Spielen verdichtete sich im Februar 2018 um das im spätmittelalterlichen Böhmen angesiedelte Rollenspiel „Kingdom Come: Deliverance“. Angekündigt als das „authentischste Historienspiel aller Zeiten“, wurde es genau an diesem Versprechen gemessen und der Frage nachgegangen, inwieweit ein mediales Werk überhaupt historisch korrekt sein kann oder stets das Bild des Entwicklerteams repräsentiere. Im Manifest des „Arbeitskreises Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele“ heißt es zum Thema „zeitgeschichtliche Rückkopplung“:
„Zum Beispiel beeinflusst die Intention der Entwickler die Tonart, in der die Hintergrundtexte oder Dialoge eines Spieles geschrieben werden. Außerdem gelangen Auffassungen auch unbewusst in ein Spiel, die aus den regionalen Einstellungen des Kulturkreises unreflektiert übernommen werden könnten, in denen die EntwicklerInnen leben und arbeiten.“
Die Debatte kann anhand folgender Quellen nachverfolgt werden:
“Kingdom Come: Deliverance”: Rechte Ideologie durch die Hintertür?
Fokussiert betrachtet wurde der Entwickler Daniel Vávra und dessen politische Ideologie, sowie daraus resultierende Einfärbungen des Medienprodukts. Neben zahlreicher vergangener Tweets und Auftritte war u.a. die Rolle der Frau im spätmittelalterlichen Böhmen und dem intendierten Verzicht der Darstellung „nicht-weißer“ Personen in die Spielwelt Stein des Anstoßes einer intensiven Debatte.
Die Kontroverse hinsichtlich Realismus vs. Interpretation fordert von Spielenden die Fähigkeit, das Erlebte kritisch einzuordnen und zu reflektieren. Der meist in Superlativen verfasste PR-Sprech sollte ohnehin mit Vorsicht genossen und stets von Konsument*innen kritisch hinterfragt werden. Man betrachte nur die Werbebilder von glücklichen Schweinchen auf den Tiertransportern – auch hier passt das Versprechen nicht zum Inhalt. Und dies gelingt auch bei digitalen Spielen anhand des vergleichenden Heranziehens mehrerer Quellen. Im Zusammenhang mit „Kingdom Come: Deliverance“ entstanden jedenfalls zahlreiche Auseinandersetzungen in Wort, Ton und Bewegtbild, die sich mit der spätmittelalterlichen Historie und multiperspektiv mit dem Geschichtsbild auseinandersetzten.
Geschichte mit Digitalen Spielen
Zu guter Letzt geht es auch um den Einsatz von digitalen Spielen mit historischen Bezügen. Dass diese durchaus in der Bildung eingesetzt werden können, wurde in Christian Bunnenbergs Artikel „Digitale Zeitreisen in die Vergangenheit? Computerspiele mit historischen Inhalten und geschichtskulturelles Lernen im Geschichtsunterricht“ , welcher in der von Grimme herausgegebenen Publikation „Spielend lernen! Computerspiele(n) in Schule und Unterricht“ erschienen ist, dargestellt. Hier heißt es:
„Anhand von Geschichtsprodukten wie Computerspielen können die Unterschiede zwischen Vergangenheit und Geschichte, Quelle und Darstellung, Rekonstruktion und Dekonstruktion verdeutlicht werden.“
In Lehr-, Lernkontexten können diese methodisch abgesichert analysiert, dekonstruiert und reflektiert werden. Auch das oben genannte Beispiel „Kingdom Come: Deliverance“, aber auch „Age of Empires“ oder die Reihe „Civilization“ machen es nur allzu deutlich: Das Digitale Spiel kann ein Türöffner sein, um sich näher mit historischen Persönlichkeiten, Religionen, Bau- und Lebensweisen befassen zu wollen.
Ein populäres Game mit historischem Anstrich ist das im ptolemäischen Ägypten angesiedelte „Assassin’s Creed Origins“, das im neuen Spielmodus “Entdeckungstour” eine von fiktiver Story und Spannung, Kämpfen und Abenteuer, Zeitdruck und Missionen befreite Version anbietet und die Spielwelt zum Lernraum oder einem interaktiven Museumsbesuch macht. Der Clou: Die Erfahrung ist sogar didaktisch aufgebaut, denn anhand von 75 Touren erfahren Spielende allerlei Wissenswertes über Baukunst, Politik, Religion und Alltag der damaligen Kultur. Ein begehbares, interaktives Geschichtsbuch also, bei dem im eigentlichen fiktionalen Abenteuer vereinfacht oder falsch dargestellt Aspekte, richtig gestellt und kontextuell eingebettet werden. Etwas obskur wirkt allerdings die Tatsache, dass Muscheln die Geschlechtsteiler ägyptischer Statuen zieren. Gemälde mit Akt-Portraits sind hingegen auch weiterhin zu finden. Das Statement eines Mitarbeiters nennt den Anspruch, ein möglichst breites Publikum ansprechen zu wollen, als Grund für den künstlerischen Eingriff.
Der Ansatz, eine ansprechende Spielwelt vom Abenteuer zu befreien und mit Wissenswertem anzureichern, ist ein sinnvoller Schritt, der hoffentlich Nachahmer finden wird. Aufgrund der Audiovisualität und Interaktivität des Mediums sowie dem Lebensweltbezug ergeben sich spannende Chancen. Doch auch hierbei optimiert eine Recherche mehrerer Quellen sowie die pädagogische Rahmung den Lernprozess – neben dem bereits angesprochenen Aspekt der Authentizität aber auch deshalb, weil manche der Touren nur aus fünfminütigen Informationshäppchen bestehen und sich nur oberflächlich mit einer Thematik auseinandersetzen. Gerade für den Kontext „Schule, genauer gesagt den Geschichtsunterricht, müssen einige Hürden gemeistert werden, um den Modus breitflächig nutzbar machen zu können. Es beginnt bei den technischen Voraussetzungen, denn kaum eine Bildungsinstitution – und erst recht nicht die Schule – kann über einen Klassensatz an Hochleistungs-PCs oder einer Next-Gen-Konsole zurückgreifen. Zudem muss auch das Produkt selbst in ausreichender Stückzahl vorliegen. Last but not least bedarf es williger Lehrer*innen oder Pädagog*innen, die sich auf ein solches Experiment einlassen wollen und Lernende, die dies einfordern.
Hinweis:
Den Modus “Entdeckungstour” von „Assassin’s Creed Origins“ können Besitzer des Originalspiels kostenfrei herunterladen. Hier gilt allerdings die gesetzliche Alterskennzeichnung der USK „freigegeben ab 16 Jahren“. Separat wird eine kostenpflichtige und als „Lehr-Programm gemäß §14 JuSchG“ ausgewiesene Standalone-Variante angeboten. Aufgrund des Online-Vertriebs unterliegt diese keiner Kennzeichnungspflicht. Jüngere Kinder könnten aufgrund einprägsamer Bilder verunsichert werden, wie z.B. die Szene einer Vergiftung.
Autor: Daniel Heinz
Bildquelle Titelbild: “Kingdom Come: Deliverance”, Warhorse Studios