Vom 19. bis 22. April 2018 fand in Gelsenkirchen das Places_Festival statt. Grimme Game war auf dem laut Veranstalter „ersten VR_Festival in Deutschland“ unterwegs und hat einige Eindrücke, Einschätzungen und Beispiele zum Lernen in virtuellen (Spiel-)Welten gesammelt.
Virtual Reality (VR)-, Augmented Reality (AR)- und Mixed Reality (MR)-Anwendungen haben ein großes Potenzial als Lehrmedien. Diese Meinung vertraten mehrere Vortragende aus Wissenschaft und Wirtschaft auf dem Places_Festival, das von den „Insane Urban Cowboys“ – einem Verein aus jungen Künstlern, Kulturschaffenden und kreativen Unternehmern in Gelsenkirchen – in Kooperation mit der Wirtschaftsförderung Gelsenkirchen organisiert und durchgeführt wurde.
Nach Fachvorträgen im Wissenschaftspark Gelsenkirchen wurden ab Freitagnachmittag verschiedene VR-, AR- und MR-Anwendungen an unterschiedlichen Orten vorgestellt. Die Besucher des Festivals konnten die Anwendungen selber ausprobieren und mit den Ausstellern diskutieren. Eine Besonderheit stellten die Ausstellungsorte dar: teils leerstehende, baufällige Immobilien im Stadterneuerungsgebiet Bochumer Straße in Gelsenkirchen-Ückendorf.
Der Kontrast zwischen alten Gebäuden, ihren Geschichten und der zukunftsweisenden Technologie verschwand in dem Moment, als die Besucher per Head-Mounted Display (HMD) virtuelle Welten erlebten. Mauern und Böden wurden beliebig für die Zeit des VR-Erlebnisses, die Technik macht Orte unwichtig. Ruine oder Schloss erfüllen die gleiche Funktion, ein Ort kann per HMD zu jedem Ort werden.
Wie stark die Immersionskraft bei VR-Erlebnissen sein kann, wird in diesem Video deutlich. Ein Reporter testet zwei VR-Stationen auf Londons Wolkenkratzer „The Shard“. Balancieren in großer Höhe und eine besondere Rutsche werden zu einem intensiven Erlebnis.
VR-Anwendungen haben im Vergleich zu AR- und MR-Anwendungen das größte Potenzial, Immersion zu erzeugen, immersiv zu wirken.
Die reale Welt wird vollständig von einer virtuellen Welt überlagert und verliert an Relevanz für die Zeit des VR-Erlebnisses. Immersion beschrieb Thorsten Fell, Vorstandsmitglied „Erster deutscher Fachverband für Virtual Reality und immersive Medien e.V.“ als treibenden Faktor beim Thema Lernen. Lernende können Arbeitsprozesse, die aus unterschiedlichen Gründen real nur schwer als Übung durchgeführt werden können, sehr realitätsnah durchspielen. VR wird bereits in unterschiedlichen Kontexten bei der beruflichen Aus- und Weiterbildung eingesetzt. So können beispielsweise gefährliche Situationen realitätsnah simuliert und der Umgang mit ihnen kann trainiert werden, auch interaktiv im Team. Entfernte Orte, wie Betriebsstätten im Ausland, können besichtigt werden, ohne dafür real zu reisen. Auch Beratungsgespräche können trainiert werden. Um gegenseitiges Verständnis im Team zu fördern, kann die Perspektive und die Rolle gewechselt werden.
Auch in der Ausbildung von Ärzten und Sanitätern kommen VR-Anwendungen schon teilweise zum Einsatz, wie Stefan Liszio, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Medieninformatik / Entertainment Computing an der Universität Duisburg-Essen berichtete. Liszio kommt zu dem Schluss, dass VR unter anderem durch die Verbesserung der Ausbildung helfen kann, Leben zu retten – darüber hinaus jedoch auch bestimmte Heilungsverläufe direkt positiv beeinflussen kann. Liszio berichtete, dass VR von Schmerzen ablenken und dadurch auch Schmerzen lindern kann. Patienten, die per HMD schöne, entspannende Situationen in VR erlebten, tolerierten mehr Schmerz als solche, die eine ähnliche Behandlungssituation ohne VR erlebten.
Auch für die Therapie von Angsterkrankungen sieht Liszio in VR ein großes Potenzial, da der Angst auslösende Reiz in der VR, anders als im echten Leben, anpassbar und kontrollierbar ist. So können Angst auslösende Situationen spielerisch trainiert und der Reiz kann kontrolliert gesteigert werden. Ängste abzubauen ist auch das Ziel eines am Lehrstuhl für Medieninformatik / Entertainment Computing an der Universität Duisburg-Essen angesiedelten Projektes, bei dem eine VR-Anwendung entwickelt wurde, die Kindern die Angst vor einer bevorstehenden MRT-Untersuchung nehmen soll. Die Untersuchung in der engen MRT-Röhre, umgeben von lauten Geräuschen, über eine längere Zeit, ohne sich bewegen zu dürfen: Was schon für Erwachsene unangenehm ist, macht Kindern Angst und ist oft ohne Sedierung kaum durchführbar. Der Pingunauten-Trainer bereitet Kinder spielerisch auf die Untersuchung vor, soll Ängste nehmen und eine Sedierung möglichst überflüssig machen.
Professor Christopher Wickenden, Professor für Kommunikationsdesign an der Hochschule Fresenius und Gründer des skip – Institut für angewandte digitale Visualisierung e.V. an der Hochschule Fresenius stellte die am skip-Institut entwickelte Anwendung skip 360° vor, die zur Integrationshilfe von Flüchtlingen eingesetzt werden kann. In der Anwendung werden alltägliche Situationen aus dem Leben in Deutschland durchgespielt, beispielsweise der Besuch bei einer Ärztin. Am Ende einer durchgespielten Szene werden einige Fragen zur erlebten Situation gestellt. Werden diese richtig beantwortet, kann die nächste Situation spielerisch erkundet werden. Die Anwendung soll demnächst in mehreren Städten erprobt werden, wobei die Erprobung wissenschaftlich begleitet und evaluiert wird.
Über einen exemplarischen Einsatz von VR in der Umweltbildung berichtete Carina Mentrup, Gründerin von Saving Planet A. Sie sieht ein großes Potenzial von VR darin, durch das virtuelle Erleben von anderen Orten ein Gefühl für die Welt zu vermitteln und dafür, dass menschliches Handeln Auswirkungen auf verschiedene Orte weltweit haben kann. Sie hat das Storytelling und den Prototypen für eine VR-Anwendung entwickelt, mit der Schüler im Unterricht erfahren können, wie Mikroplastik in die Ozeane und von dort in unsere Nahrungskette gelangt.
Weitere Beispiele für den Einsatz von VR, AR und MR als Lehrmedien finden sich im Online-Magazin „Immersive Learning“ von Thorsten Fell, Vorstandsmitglied „Erster deutscher Fachverband für Virtual Reality und immersive Medien e.V.“
VR als Medium zur Berufs- und Weiterbildung, VR als Medium zur Patientenaufklärung und Angstbewältigung im medizinischen Kontext, VR als Medium zum kulturellen Training im Kontext der Integrationshilfe und VR als Medium zur Umweltbildung im schulischen Kontext. Nur einige Beispiele, die zeigen, dass die Einsatzmöglichkeiten von spielerischen VR-Anwendungen zu Lernzwecken viele Bereiche der Gesellschaft umfassen. Es ist eine als-ob-Realität, ein Spiel mit dem Planbaren, in der viele denkbare Szenarien abgebildet werden können. Es wird effektives Lernen durch Erfahrung möglich, das seine Grenzen durch das Weltbild und die Imaginationskraft derer erfährt, die die virtuellen (Spiel-)Welten erschaffen.
Text und Bilder: Stephanie Stark