Die Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen ist in Deutschland bis auf bestimmte Ausnahmen nach § 86a StGB verboten – bei digitalen Spielen konnte diese Ausnahmeregelung bisher nicht angewendet werden. Dies führte dazu, dass der Nationalsozialismus und mit ihm der Holocaust in digitalen Spielen auf dem deutschen Markt bisher ausgeblendet wurde. Eine erinnerungskulturelle Auseinandersetzung mit diesem Kapitel der deutschen Geschichte konnte daher im digitalen Spiel bis vor kurzem nicht stattfinden.
Dieser Beitrag ist Teil des Dossiers Politik & Zeitgeschehen. Eine Übersicht über alle Beiträge des Dossiers gibt es hier | Titelbild-Quelle: Charles University, Czech Academy of Sciences / Attentat 1942.
Im August 2018 änderte sich alles: Erstmals waren verfassungsfeindliche Symbole in einem USK-geprüften Spiel zu sehen.
Nationalsozialistische Symbole in Medienprodukten
Alles nimmt seinen Anfang mit § 86a des Strafgesetzbuches. Die „Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ wird darin verboten und unter Strafe gestellt. Das leuchtet beim Blick auf die dunklen Zeiten der deutschen Geschichte und die besondere Bedeutung von Symbolik in diesem Zusammenhang sofort ein.
Konkret ausformuliert lautet die Begründung für das Verbot:
„Als Schutzgüter der Vorschrift werden der politische Frieden, die freiheitliche demokratische Grundordnung, der Gedanke der Völkerverständigung und das Ansehen Deutschlands im Ausland benannt. Das Verbot dient zum einen dazu zu verhindern, dass die verbotenen Organisationen oder die von ihnen verfolgten Bestrebungen wiederbelebt werden, zum anderen soll von vornherein bereits der Eindruck verhindert werden, dass die verfassungsfeindlichen Bestrebungen aufgrund der Präsenz der entsprechenden Symbole geduldet würden.“ (Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag 2014, 6) [11].
Doch ein komplettes Verbot der Kennzeichen würde bedeuten, sie aus der deutschen Geschichtsschreibung zu tilgen. Damit wäre auch die Möglichkeit vergeben, sie in irgendeiner Weise zu kontextualisieren und zu bewerten. Erinnern, Aufarbeitung von Geschichte und Positionierung wären erschwert.
Aus diesem Grund gibt es eine Ausnahme. Hier heißt das entscheidende, viel zitierte Wort Sozialadäquanz. Der etwas sperrige Begriff aus der Rechtswissenschaft umschreibt ein in einem individuellen Zusammenhang sozial angemessenes Verhalten. Und genau hierin liegt die Besonderheit: Sozialadäquates Verhalten kann nicht von vornherein allgemeingültig angenommen werden, sondern muss immer als individueller Einzelfall betrachtet und in seinem speziellen Kontext überprüft werden. Denn gleiches Verhalten kann dabei in unterschiedlichen Zusammenhängen völlig unterschiedlich bewertet werden.
Beispiel: Die Verwendung der Bundesdienstflagge durch eine nichtamtliche Stelle oder Privatperson stellt eigentlich eine Ordnungswidrigkeit dar. In Zeiten eines nationalen Großereignisses wie z.B. einer Fußballweltmeisterschaft kann die Nutzung jedoch als sozialadäquat im Sinne eines Ausdrucks der nationalen Verbundenheit bewertet und damit geduldet werden.
Die Sozialadäquanz-Klausel
Die Sozialadäquanz-Klausel schränkt § 86a StGB durch Ausnahmen ein: „Nach der so genannten Sozialadäquanz-Klausel in § 86a Absatz 3 i. V. m. § 86 Absatz 3 StGB greift der Tatbestand nicht, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.“ (Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag 2014, 17).“ [11].
Zum einen wird ausdrücklich erwähnt, dass die Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens und der Geschichte vom Verbot ausgenommen ist. Zeitgeschichtliche Dokumentationen und Informationssendungen, die Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zeigen, dürfen deshalb grundsätzlich veröffentlicht werden. Zum anderen ist Kunst von dem Verbot ausgenommen, was besonders relevant für fiktionale Medienprodukte ist. Die Kunstfreiheit ist als Grundrecht in Absatz 3, Artikel 5 des Grundgesetzes verankert. Darin heißt es: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“
Wichtig ist hierbei, dass der Kunstbegriff nicht von einer Prüfungspflicht entbindet. Es muss immer eine Einzelfallabwägung stattfinden, zwischen dem Verbot der Kennzeichen und den Belangen der Kunst (vgl. Dankert/Sümmermann 2018, 5) [1].
Medieninhalte, in denen verfassungswidrige Organisationen und deren Ideologie eindeutig abgelehnt und bekämpft werden, fallen ebenfalls unter die Sozialadäquanz. Hierunter fällt beispielsweise die Darstellung eines durchgestrichenen Hakenkreuzes. Die juristische Bezeichnung für diese Einschränkung des § 86a in Medienprodukten lautet teleologische Tatbestandsreduktion (vgl. Dankert/Sümmermann 2018, 4) [1].
Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen dürfen nach Abwägungen im Einzelfall aus drei Gründen in Medienprodukten vorkommen:
1) Es handelt sich um Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte.
2) Das Medienprodukt ist als Kunst anerkannt.
3) Verfassungswidrige Organisationen und deren Ideologie werden eindeutig abgelehnt und bekämpft.
In Filmen sind regelmäßig Symbole zu sehen, die der Zeit des Nationalsozialismus zuzuordnen sind. Sie sind beispielsweise in Schindlers Liste (1993) zu finden, aber auch in Actionfilmen wie Indiana Jones und der letzte Kreuzzug (1998) oder Inglourious Basterds (2009).
Das Wolfenstein-Urteil ließ keine Ausnahmen zu
Wolfenstein 3D | Bildquelle: id Software
In digitalen Spielen konnte bisher keine Ausnahmeregelung angewendet werden. Grund hierfür war das prägende Wolfenstein-Urteil von 1998. Wolfenstein 3D kam 1992 in den USA auf den Markt. Hier mussten Spieler*innen als amerikanischer Soldat der Nazi-Gefangenschaft auf Schloss Wolfenstein entfliehen. Das Spiel wurde von der damaligen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPJS) indiziert und im Januar 1994 bundesweit beschlagnahmt. Grund für die Indizierung war „die spielimmanente Verherrlichung des Selbstjustizgedankens sowie die positive Bewertung und Gewichtung anreißerisch gestalteter Todesszenarien“ – nicht die im Spiel enthaltenen nationalsozialistischen Kennzeichen (Ströhl 2018) [9].
Dies wäre vielleicht längst in Vergessenheit geraten, wäre das Spiel nicht später durch einen Anhänger der nationalsozialistischen Szene im rechtsradikalen Thule-Web zum Datenaustausch angeboten worden. Bei der Verurteilung des Angeklagten entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main, „dass in Computerspielen keine Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gezeigt werden“ dürfen (vgl. Dankert/Sümmermann 2018 5f) [1]. Eine teleologische Tatbestandsreduktion lehnte das Gericht bei dieser Entscheidung ab. Es befürchtete eine zunehmende Verwendung verbotener Kennzeichen in der Öffentlichkeit. Außerdem sei insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ein Gewöhnungseffekt zu befürchten. Dies könne dazu führen, dass sie anfälliger für eine ideologische Beeinflussung im Sinne des Nationalsozialismus werden. Es sei auch damit zu rechnen, dass einzelne Nutzer*innen sich mit den Feinden identifizieren bzw. Sympathie für sie empfinden (vgl. Liesching 2010, 14f) [5]. Die Recherchelage lässt vermuten, dass den Befürchtungen zum damaligen Zeitpunkt augenscheinlich keine konkreten, stützenden Erkenntnisse aus der Wirkungsforschung zugrunde lagen.
Das Wolfenstein-Urteil führte dazu, dass es ab 1998 unmöglich wurde, Spiele in den deutschen Handel zu bringen, die verfassungswidrige Kennzeichen enthielten. Da die Verwendung und Verbreitung dieser Kennzeichen nach § 86a StGB verboten ist, hätten Publisher sich persönlich der Gefahr eines Strafverfahrens ausgesetzt. Ein Unternehmensstrafrecht gibt es in Deutschland bislang nicht. Nur natürliche Personen können aktuell nach dem Strafrecht belangt werden, keine juristischen (vgl. Dankert/Sümmermann 2018, 6) [1].
Update (14.11.2018)
Wir haben einen Hinweis erhalten, dass bereits 2012 das Spiel Into the Dark von Homegrown Games auf Basis der Sozialadäquanzklausel eine USK-Freigabe ab 18 Jahren erhielt, obwohl Symbole verfassungswidriger Organisationen im Spiel zu sehen sind. Wir haben Homegrown Games und die USK kontakiert und aktualisieren den Beitrag, wenn wir Rückmeldung erhalten.
Kulturgut 2008 versus Rechtsprechung 1998
In den Folgejahren wurden digitale Spiele in Deutschland kontrovers diskutiert. Insbesondere die Killerspieldebatte flammte immer wieder auf. Dabei wurde behauptet, dass durch Computerspiele eine gesteigerte Aggressivität hervorgerufen werde. Einerseits hatten digitale Spiele lange mit einem schlechten Image zu kämpfen, das auch heute noch nicht völlig überwunden ist. Andererseits entstanden umfangreiche, gesellschaftliche Diskurse darüber, ob digitale Spiele nicht eigentlich sogar dem Bereich der Kultur zuzuordnen sind, wie bei Musik und Film schon seit langem üblich. Diese nahmen ab, als der damalige GAME – Bundesverband der deutschen Games-Branche e.V. im August 2008 als Mitglied in den Deutschen Kulturrat aufgenommen wurde. Seitdem werden digitale Spiele in Deutschland auch öffentlich als Kulturgut wahrgenommen – im August 2018 feierte das digitale Spiel seinen zehnten Geburtstag als anerkannter Bestandteil der deutschen Kultur.
Der ehemalige GAME wurde 2008 in den Deutschen Kulturrat aufgenommen. Am 29. Januar 2018 schloss er sich mit dem BIU – Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e.V. zum game – Verband der deutschen Games-Branche e.V. zusammen.
Dies führte dazu, dass die Absolutheit der Aussage, dass in Computerspielen keine Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gezeigt werden dürfen, immer öfter kritisch hinterfragt und diskutiert wurde. So kam beispielsweise Dr. Marc Liesching, Rechtsanwalt aus München, 2010 in einer Stellungnahme zu dem Schluss:
„Die restriktive Auslegung des OLG Frankfurt/M. mag bei Computerspielen auf dem Entwicklungsstand Anfang der 1990er Jahre nachvollziehbar erscheinen. Sie ist aber zumindest im Hinblick auf die heutigen, aufwendig produzierten Spiele in dieser Pauschalität abzulehnen. Denn die generelle Negierung der schutzzweckorientierten Tatbestandsreduktion bei Computergames erklärt die bereits aufgezeigten Diskrepanzen zu der weitgehenden Duldung von Kennzeichenverwendungen in Unterhaltungsspielfilmen nicht.“ (Liesching 2010, 15) [5].
Kunstbegriff 2013 versus Rechtsprechung 1998
Wo die Diskussion um Kultur oder Keine-Kultur geführt wird, ist die Diskussion um Kunst oder Keine-Kunst nicht weit. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK). Sie ist für die Überprüfung und Alterskennzeichnung von digitalen Spielen nach den Regelungen des Jugendschutzes in Deutschland verantwortlich. Spiele, die auch an Personen unter 18 Jahren verkauft werden sollen, können nur mit USK-Kennzeichnung in den Handel kommen. Händler sind gesetzlich verpflichtet, Spiele gemäß der Altersfreigabe zu verkaufen. Wer sich nicht daran hält, riskiert ein hohes Bußgeld.
Der Haken dabei ist jedoch: Eine solche Regelung kann nur für PC- und Konsolenspiele im Handel verbindlich greifen. Für Online-Spiele und Apps kann lediglich auf freiwilliger Basis ein USK-Siegel nach dem internationalen IARC-System beantragt und vergeben werden.
Ein PC- oder Konsolenspiel ohne USK-Kennzeichen darf nur an Personen ab 18 Jahren verkauft werden, kann aber noch von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPJM) indiziert werden. Dieses Risiko wird mit einer USK-Kennzeichnung umgangen, denn Spiele, die ein Kennzeichen der USK tragen, können nicht mehr indiziert werden. Die USK hat also im Bereich der Spiele, die auf Trägermedien erscheinen, einen sehr großen Einfluss darauf, welches Spiel unter welchen Voraussetzungen auf dem deutschen Markt verkauft werden darf. Sie wird finanziert durch die gemeinnützige „Freiwillige Selbstkontrolle Unterhaltungssoftware GmbH“ – deren alleiniger Gesellschafter aktuell der „Industrieverband der Spiele entwickelnden, produzierenden und in Deutschland vertreibenden Industrie (Verband der deutschen Games-Branche e.V. – game)“ ist. Die USK erklärt dazu, dass die Verantwortung für die Alterskennzeichnungen nicht von den Gesellschaftern getragen wird.
Die Leitkriterien der USK
Mehr als 50 Jugendschutzsachverständige sind für die USK tätig, darunter nach eigenen Angaben kein Vertreter aus der Industrie. Jedes Prüfgremium besteht aus vier Jugendschutzsachverständigen und einem Ständigen Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden (OLJB). Eben diese Obersten Landesjugendbehörden und ihre Rechtsauffassung hatten entscheidenden Einfluss auf den Umgang mit verfassungswidrigen Symbolen in Computerspielen. In ihrem Ermessen lag es, den Beschluss zu fassen, dass eine Prüfung durch die USK bei Spielen, in denen verfassungsfeindliche Symbole vorkommen, von vornherein ausgeschlossen wurde (vgl. GamesWirtschaft 2017) [2]. Umgesetzt wurde dies, indem USK-Prüfanträge folgenden Satz enthielten: „Der Antragsteller versichert, dass der Titel bei der Veröffentlichung keine verfassungsfeindlichen Symbole gemäß § 86, 86 a StGB enthält.“ (GamesWirtschaft 2018a) [3].
Die Debatte um die Frage, ob digitale Spiele dem Bereich der Kunst zuzuordnen sind oder nicht, fand 2013 vorerst ein Ende, als die USK eine überarbeitete Version ihrer „Leitkriterien der USK für die jugendschutzrechtliche Bewertung von Computer- und Videospielen“ veröffentlichte. Darin werden Computerspiele erstmals als Bestandteil der Kunst bezeichnet. In der Präambel heißt es:
„Computerspiele sind ein selbstverständlicher Teil unserer Alltagskultur und finden auch unter künstlerischem Aspekt Beachtung. Technisch Machbares und ästhetischer Ausdruck können sich in einer Art und Weise verbinden, dass Spiele Merkmale einer Kunstform in der zeitgenössischen Unterhaltung erhalten.“ (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle 2013, 3) [10].
Damit gewann die Sozialadäquanz-Klausel mit dem in ihr enthaltenen Verweis auf die Kunstfreiheit an Bedeutung. Ihr gegenüber stand jedoch immer noch das Wolfenstein-Urteil des OLG Frankfurt am Main aus dem Jahr 1998.
Zu große Risiken
Es sprachen weiterhin mehr Gründe gegen die Veröffentlichung eines Spiels mit verfassungswidrigen Symbolen als dafür. Ohnehin wäre nur eine Veröffentlichung ohne USK-Kennzeichnung in Betracht gekommen, da ein Spiel mit verfassungswidrigen Kennzeichen schon an der Hürde der Einreichung gescheitert wäre. Die Gefahr eines Strafverfahrens wegen des Verstoßes gegen § 86a bestand weiterhin. Hinzu kamen betriebswirtschaftliche Gründe: Im Fall einer Indizierung durch die BPJM kann ein Spiel nicht mehr über die offiziellen Verkaufskanäle abgesetzt werden und wird in der Regel vom Markt genommen.
Es blieb die theoretische Möglichkeit, ein Gerichtsverfahren zu durchlaufen und am Ende bestenfalls Recht zu bekommen – ein solcher Präzedenzfall hätte Auswirkungen auf die gesamte Spielebranche gehabt. Doch niemand wagte diesen Schritt. Neben allen anderen Risiken wäre das betreffende Spiel bis zum Ende des Verfahrens wahrscheinlich veraltet gewesen und der wirtschaftliche Schaden kaum mehr durch den etwaigen Imagegewinn aufzuwiegen (vgl Sandqvist 2017b) [7].
Diskussionen im Herbst 2017
Da die Verwendung von NS-Symbolen nur in Deutschland verboten ist, der deutsche Absatzmarkt allerdings groß ist, brachten einige Spielehersteller spezielle Versionen von Spielen für den deutschen Markt heraus. Im Herbst 2017 nahm dies groteske Formen an, als in der deutschen Version von Wolfenstein II: The New Colossus (2017) „die deutsche Geschichte entsorgt“ wurde, wie Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates damals twitterte und damit einen Artikel zum Thema auf BR.de zitierte. Faschismus und Antifaschismus wurden getilgt, ein „Regime“ kämpfte für „Herrn Heiler“.
Ebenfalls im Herbst 2017 erschien das tschechiche Spiel Attentat 1942. Das PC-Spiel setzt sich kritisch mit der Besetzung der Tschechoslowakei während des Zweiten Weltkriegs auseinander, indem die Geschichte Zeitzeugen zu Wort kommen lässt. Das Spiel gewann zwar beim A MAZE Festival im April 2018 in Berlin einen der Hauptpreise – aufgrund der verfassungsfeindlichen Symbole war es in Deutschland jedoch zunächst nicht erhältlich (vgl. GamesWirtschaft 2018b) [4].
Damit nicht genug, machte im Herbst 2017 noch ein weiteres Spiel von sich und Hakenkreuzen reden: im Wahlkampf-Spiel Bundesfighter II Turbo (2017), vom Bohemian Browser Ballett im Auftrag von ARD und ZDF produziert, springt Alexander Gauland in die Luft und winkelt Arme und Beine so an, dass deutlich ein Hakenkreuz zu erkennen ist. Der Verband für Deutschlands Video- und Computerspieler nutzte die Gelegenheit, um die Gesetzeslage zu testen, und reichte eine Klage gegen das Spiel ein. Das von den großen öffentlich-rechtlichen Medienanstalten unterstützte Spiel eignete sich hervorragend, um Fakten zu schaffen. Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart lehnte die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ab mit der Begründung, das Spiel sei ein Kunstwerk, das satirischen Charakter besitze und politisches Bewusstsein fördere (vgl. GamesWirtschaft 2018a, vgl. Sonntag 2018) [3] [8]. So wurde in Deutschland das erste Hakenkreuz in einem digitalen Spiel legalisiert.
Die Wende
Dies trug mit dazu bei, dass die Obersten Landesjugendbehörden das grundsätzliche Verbot verfassungswidriger Symbole in digitalen Spielen neu diskutierten und neu bewerteten (vgl. GamesWirtschaft 2018a) [3]. Im August 2018 folgte dann die kleine Sensation: Die USK gab bekannt, in Zukunft die Sozialadäquanz-Klausel zu berücksichtigen und Spiele mit verfassungswidrigen Symbolen zur Prüfung zuzulassen. Die veränderte Rechtsauffassung ändert jedoch nichts daran, dass auch nach Vergabe eines USK-Kennzeichens ein Spiel noch durch die Staatsanwaltschaft verboten und beschlagnahmt werden könnte (vgl. Sandqvist 2017) [6].
Noch im gleichen Monat folgte die erste Altersfreigabe „ab 12 Jahren“ für die Demo-Version eines Spieles, in dem verfassungswidrige Kennzeichen nach § 86a enthalten sind: Eine Demo von Through the Darkest of Times (2019) erhielt im Eilverfahren ein USK-Kennzeichen und konnte so auf der gamescom 2018 gezeigt werden.
Das Spiel wurde mit 70.000 Euro vom Medienboard Berlin-Brandenburg gefördert. Die Handlung ist zur Zeit des Nationalsozialismus in Berlin verortet, die Spieler*innen werden zu Anführer*innen einer Widerstandsgruppe. Ziel des Spiels ist es, die Gruppe bis zur Kapitulation des Deutschen Reiches aufrechtzuerhalten und dabei so vielen Menschen wie möglich zu helfen. Dabei sind historische Begebenheiten integrativer Teil des Spielablaufs.
Deutlich weniger Medienaufmerksamkeit erhielt das Mobile-Game My Child Lebensborn (2018), das im August 2018 ebenfalls eine USK-Freigabe ab 12 Jahren bekam und daraufhin auf der gamescom gezeigt werden konnte. Das Spiel erzählt vom Schicksal der Lebensborn-Kinder in Norwegen der 50er Jahre und verwendet dabei verfassungsfeindliche Symbole.
Und auch Attentat 1942 konnte aufgrund der geänderten Prüfpraxis bei der USK eingereicht werden und erhielt am 06.09.2018 eine Altersfreigabe ab 12 Jahren.
Ausblick
Die USK ist kein Gericht. Es ist jedoch bemerkenswert, dass der Weg für eine Gleichbehandlung bei der Prüfpraxis in Film, Fernsehen und digitalem Spiel hinsichtlich der Verwendung verfassungsfeindlicher Zeichen geebnet ist. Auch zu Prozessen des gemeinsamen Erinnerns kann die Verwendung derartiger Zeichen in digitalen Spielen beitragen. Denn: „Computerspiele mit historischem Setting produzieren und reproduzieren Geschichtsbilder und haben damit einen erheblichen Einfluss auf Erinnerungskulturen weltweit. Denn Erinnerung ist ein hochgradig dynamischer und aktiver Prozess. Das, was ein Individuum von einer historischen Begebenheit zu wissen glaubt, steht im ständigen Austausch mit kollektiven und besonders populärkulturellen Bildern des Vergangenen.“ (Zimmermann, 2018) [12].
Nun kann eine offene, erinnerungskulturelle Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auch über das digitale Spiel stattfinden. Denn es darf gezeigt und damit kontextualisiert und bewertet werden, was bisher nicht gezeigt werden durfte.
Autorin: Stephanie Stark
Podcasts zum Thema
Thomas Fuchs, Direktor der Medienanstalt Hamburg/Schleswig Holstein befürchtet, dass sich die „Büchse der Pandora“ nicht mehr schließen lässt und in Zukunft auch Spiele mit verfassungsfeindlichen Kennzeichen eine USK-Kennzeichnung bekommen, die nicht als pädagogisch wertvoll anzusehen sind. (11:17)
Ausführliches Interview mit Rechtsanwalt Felix Richter über die Problematik verbotener Symbole in digitalen Spielen. Er betont darin noch im Dezember 2017, dass er für eine Veröffentlichung in Deutschland eine Spielversion ohne Hakenkreuze empfehlen würde. (01:02:39)
Kulturwissenschaftler Christian Huberts hebt die Mechanik des Spiels „My Child: Lebensborn“ hervor, die darauf ausgerichtet sei, für das Thema Mobbing zu sensibilisieren und dafür den historisch korrekt wiedergegebenen Kontext des Lebensborn-Themas nutze. (06:20)
Jana Reinhardt von Deutschlandfunk Nova darüber, warum sich Entwickler dafür entscheiden, verfassungsfeindliche Symbole in ihre Spiele einzubauen. (14:04)
Literatur
[1] Dankert, B. & Sümmermann, P. (2018). Hakenkreuze in Filmen und Computerspielen – Entwicklungen und aktuelle Debatte zum Umgang mit verfassungsfeindlichen Kennzeichen. In: BPJM-Aktuell 2/2018. (S. 4-7). Zugriff am 06.09.2018. Verfügbar unter http://www.bundespruefstelle.de/RedaktionBMFSFJ/RedaktionBPjM/PDFs/BPJMAktuell/bpjm-aktuell-201802-hakenkreuze-in-filmen,property=pdf,bereich=bpjm,sprache=de,rwb=true.pdf
[2] GamesWirtschaft (2017). Debatte um Wolfenstein 2: “Verstoß gegen Grundrechte”. Zugriff am 06.09.2018. Verfügbar unter https://www.gameswirtschaft.de/politik/wolfenstein-2-interview-felix-falk-biu/
[3] GamesWirtschaft (2018a). Durch Wolfenstein 2 kam Schwung in die Debatte. Zugriff am 31.08.2019. Verfügbar unter https://www.gameswirtschaft.de/politik/usk-elisabeth-secker-86stgb-interview/
[4] GamesWirtschaft (2018b). Attentat 1942: Präzedenzfall in Hakenkreuz-Debatte? Zugriff am 06.09.2018. Verfügbar unter https://www.gameswirtschaft.de/politik/attentat-1942-praezedenzfall-hakenkreuze-games/
[5] Liesching, M. (2010). Hakenkreuze in Film, Fernsehen und Computerspielen – Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen in Unterhaltungsmedien. In: BPJM-Aktuell 3/2010. (S. 11-17). Zugriff am 03.09.2018. Verfügbar unter http://www.bundespruefstelle.de/RedaktionBMFSFJ/RedaktionBPjM/PDFs/BPJMAktuell/bpjm-aktuell-201003-hakenkreuze,property=pdf,bereich=bpjm,sprache=de,rwb=true.pdf
[6] Sandqvist, M. (2017a). Hintergrund: Der Haken mit dem Kreuz – Die Darstellung von NS-Symbolen in Videospielen. Zugriff am 31.08.2018. Verfügbar unter https://pcgames.de/Spielemarkt-Thema-117280/Specials/Der-Haken-mit-dem-Kreuz-NS-Symbolen-Videospielen-1112076/
[7] Sandqvist, M. (2017b). Der Haken mit dem Kreuz – Interview mit Rechtsanwalt Stephan Mathé. Zugriff am 05.10.2018. Verfügbar unter: http://www.pcgames.de/Spielemarkt-Thema-117280/Specials/Der-Haken-mit-dem-Kreuz-NS-Symbolen-Videospielen-1112076/2/
[8] Sonntag, M. (2018). Bundesfighter II Turbo: Das erste legale Spiel in Deutschland mit Hakenkreuzen. Abgerufen am 06.09.2018. Verfügbar unter https://www.giga.de/extra/videospielkultur/news/bundesfighter-ii-turbo-das-erste-legale-spiel-in-deutschland-mit-hakenkreuzen/
[9] Ströhl, C. (2018). Verbot gekippt: Hakenkreuze in Computerspielen ab sofort erlaubt. Abgerufen am 31.08.2018. Verfügbar unter https://svz.de/20662867
[10] Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (2013). Leitkriterien der USK für die jugendschutzrechtliche Bewertung von Computer- und Videospielen. Abgerufen am 06.09.2018. Verfügbar unter http://www.usk.de/fileadmin/documents/2013-12-13_Leitkriterien_USK.pdf
[11] Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag (2014). Das strafbare Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. § 86a StGB im Spiegel der Rechtsprechung“. Abgerufen am 31.08.2018. Verfügbar unter https://www.bundestag.de/blob/195550/4db1151061f691ac9a8be2d9b60210ac/das_strafbare_verwenden_von_kennzeichen_verfassungswidriger_organisationen-data.pdf
[12] Zimmermann, O. (2018). Spielend sterben im Schützengraben – Der Erste Weltkrieg in Computerspielen. Abgerufen am 30.08.2018. Verfügbar unter https://www.kulturrat.de/themen/erinnerungskultur/ersterweltkrieg/spielend-sterben-im-schuetzengraben/