»Jeder, der kritisiert, ist ein Kritiker. Du siehst das Problem. […] Wenn wir von Kritik reden, sprechen wir dann über eine berufliche Tätigkeit – eine Art Schriftstellerei, eine Sorte von Journalismus oder Forschung, eine irgendwie geartete intellektuelle Disziplin – und darum über die Leute, die sich damit ihren Lebensunterhalt verdienen? Oder sprechen wir über ein weniger spezialisiertes Unternehmen, […] etwas, was jeder lernen kann? Oder vielleicht sogar über eine elementarere, reflexartigere Tätigkeit […]?«[1]
Der New York Times-Kritiker A.O. Scott betont in seinem Essay Kritik Üben. Die Kunst des feinen Urteils, dass wir im Grunde alle Kritiker*innen sind, ja dass wir gar nicht anders können, als zu kritisieren. Und natürlich gehören auch Computerspiele längst zum Gegenstandsbereich kritischer Qualitätsurteile. Allerdings fällt auf, dass sich das junge Medium Computerspiel hier scheinbar von anderen ›traditionsreicheren‹ Medien unterscheidet. So stellt Eron Rauch die nicht unberechtigte Frage: »Why do videogames have ›reviewers‹ but almost every other cultural industry has ›critics‹?«[2] Auch der Medienphilosoph Ian Bogost merkt in seinem Essay Nobody Asked for a Toaster Critic an: »Videogames are a lot like toasters. We think they are appliances, mere tools that exist to entertain or distract. We think that their ability to satisfy our need for leisure is their only function.«[3]
Zwar wurden Diskussionen um Computerspiele als Kunst oder als Kulturgut gerade in den letzten Jahren beharrlich geführt, doch scheint ein Blick auf die zeitgenössische Gaming Culture Bogosts polemische These zunächst durchaus zu bestätigen. Denn anders als viele Buch- oder Filmkritiken konzentrieren sich Game-Reviews meist auf ausführliche Beschreibungen technischer Details, sie folgen standardisierten Testkategorien und am Ende findet sich fast immer eine Wertung (X von 10 Punkten). In der Spielindustrie werden in einigen Fällen gar Bonus-Zahlungen für die Mitarbeiter von Entwicklerstudios an die Metacritic-Wertungen eines Spiels geknüpft.[4] Hinzu kommt ein Fetisch für Bestenlisten, von den Top-10-Games des Jahres bis hin zu den »500 Best Games of All Time«.[5]
Ein popkulturelles Paradox
Freilich sind gerade in den Digitalkulturen Bestenlisten ein weitverbreitetes Phänomen, so finden sich in den Bewertungsskalen von metacritic.com nicht nur Games, sondern ebenso Filme, Fernsehserien und Musikalben. Jedoch scheint bei Computerspielen die Oszillation zwischen Kunstwerk und Gebrauchsgegenstand aus mindestens drei Gründen besonders wirkungsmächtig: Erstens, weil das Computerspiel das historisch jüngste der genannten Medien ist. Dementsprechend ist es weniger durch ›klassische‹ Formen der Medienkritik – im feuilletonistischen wie im kulturellen und akademischen Bereich – geprägt und stärker in neueren Kategorisierungspraktiken der Digitalkulturen verwurzelt. Zweitens, weil das Computerspiel wie kaum ein anderes Medium durch seine technologische Plattform geprägt ist und deshalb häufig auf seine ›neuartigen technischen Qualitäten‹ reduziert wird. Und schließlich drittens, weil das Computerspiel in der gesellschaftlichen Wahrnehmung immer noch vornehmlich als ein mehr oder weniger bedenkliches Nischenmedium gilt, als ein Spielzeug für junge (meist männliche) Nerds oder eben als ein Gebrauchsgegenstand – und damit nicht als komplexes, ›ernstzunehmendes‹ mediales (Kunst-)Werk. Oder in den Worten des Journalisten Joshua Riveras: »Video games are a pop-cultural paradox – ridiculously lucrative but strangely sequestered, simultaneously entertainment’s biggest niche and its final frontier. If video games are the future, they have, for some reason, remained a future non-gamers have safely ignored.«[6]
Ein Nischen-Massenmedium
Eng verbunden mit dieser Wahrnehmung des Computerspiels als Nischen-Massenmedium ist – und damit schließt sich der Kreis zur Kritik – eine hitzig geführte Debatte über die Qualität von Computerspielen und scheinbar auch fast zwangsläufig über die Frage, was denn ein ›gutes‹ Computerspiel ist. Anders als z.B. in der Film- und Fernsehbranche gibt es im Bereich der Computerspiele kaum etablierte, gesellschaftlich anerkannte Institutionen, die Qualitätskriterien prägen. Zwar findet sich bspw. auf der Website des Deutschen Computerspielpreises eine auf den ersten Blick erfreulich vielfältige Definition von »auszeichnungswürdigen Qualitäten: künstlerischer bzw. kultureller Wert oder pädagogisch-didaktischer Wert oder Technik und Innovation oder Spielspaß und Unterhaltung«.[7] Auf den zweiten Blick entpuppen sich die einzelnen Punkte eines solchen Bewertungskatalogs dann aber doch schnell als »universell einsetzbare Allgemeinplätze«.[8] »Alles ist möglich – Hauptsache es ist made in Germany«, wie der Medienwissenschaftler Christian Huberts zur Preisverleihung 2016 polemisch anmerkte. Die fortwährenden aufgeregten Debatten, die den Deutschen Computerspielpreis jedes Jahr aufs Neue begleiten, scheinen seine Einschätzung zu bestätigen.[9] [10]
Quality Games? Computerspiele zwischen Kunst und Kommerz
Am 1. und 2. Oktober fand auf Schloss Wahn in den Räumlichkeiten der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität zu Köln die Tagung »Quality Games? Computerspiele zwischen Kunst und Kommerz« statt, veranstaltet vom Grimme Forschungskolleg als Zusammenarbeit des Instituts für Medienkultur und Theater, der Grimme Medienbildung und der Fachstelle für Jugendmedienkultur. Ziel der Veranstaltung war es, verschiedene Computerspiel-Kritiker*innen aus Wissenschaft und Praxis zusammenzubringen, u.a. aus den Bereichen Game Studies und Game Design, Medienpädagogik und kulturelle Bildung sowie Performance- und Medienkunst.
Im Rahmen eines konsequent interdisziplinären Dialogs wurden verschiedene Qualitätsdebatten aufgearbeitet und unterschiedliche Klassifikationssysteme präsentiert und reflektiert, z.B. Begriffe wie »Kanon« und »Genre« sowie Label wie »pädagogisch« oder »künstlerisch wertvoll«. So sprach Markus Rautzenberg (Folkwang Universität der Künste) über kulturhistorische Dimensionen des Qualitätsbegriffs in der Philosophie und im Design, Thomas Hensel (Hochschule Pforzheim) fokussierte sich auf die Kunst- und Bildwissenschaft. Angelika Beranek (Hochschule für angewandte Wissenschaften München) und Daniel Heinz (Spieleratgeber-NRW) setzten sich kritisch mit dem Qualitätsdiskurs der Medienpädagogik auseinander, Andreas Lange (EFGAMP e.V.) und Winfried Bergmeyer (Stiftung digitale Spielekultur) gewährten Einblicke in die kuratorische, Jochen Gebauer (gamespodcast.de) in die journalistische Praxis. Den Abschluss bildeten eine Performance Lecture von Thomas Hawranke (Kunsthochschule für Medien Köln), die medienkünstlerische Ansätze veranschaulichte, und ein Impulsvortrag von Tanja Weber (Universität zu Köln), der aus einer intermedialen Perspektive Parallelen und Unterschiede zur Quality TV-Debatte aufzeigte (Tagungsbericht).
Vorschläge für Qualitätskriterien
Am zweiten Tag der Veranstaltung wurden in Arbeitsgruppen verschiedene Vorschläge für Qualitätskriterien für Computerspiele diskutiert. Ein Ergebnis dieser Diskussionsrunden stand dabei freilich schon vorher fest: nämlich, dass es keine einheitliche Definition von Qualität und damit auch keinen festen Kriterienkatalog geben kann.
So offenbarte sich durch die interdisziplinäre Zusammensetzung der einzelnen Gruppe recht schnell, dass die verschiedenen Annäherungen an die Qualitäten von Computerspielen nicht nur höchst unterschiedlich ausfallen, sondern auch dass Kriterienkataloge nicht selten mehr über die bewertende Institution als über das bewertete Spiel verraten (Interview mit Jochen Gebauer). Es bedarf also immer auch einer kulturhistorischen Reflexion von Bewertungskriterien (Interview mit Markus Rautzenberg & mit Thomas Hensel), die normative Zuschreibungen (Interview mit Winfried Bergmeyer & mit Angelika Beranek) und starre Kriterienkataloge (Interview mit Andreas Lange) so gut es geht vermeidet, um den Blick auf neue, innovative Qualitäten des jungen Mediums Computerspiel freizugeben (Interview mit Hanns Christian Schmidt). Dazu gehören dann auch ganz neue Ansätze zur Bewertung von Spielen, z.B. eine stärkere Berücksichtigung von Aneignungsstrategien durch Fan-Communties in Form von Modding- oder Cosplay-Praktiken (Interview mit Heiko Kirschner & mit Daniel Heinz).
Auf diese Weise wird das Computerspiel nicht mehr nur als ›klassisches‹ abgeschlossenes mediales Artefakt betrachtet – ein Umstand, der Qualitätsdiskurse und Auszeichnungssysteme durchaus vor ganz neue Herausforderungen stellt. Die Debatte über das Gute, das Schöne und das Wahre kann und muss also auch im Bereich der Computerspiele fortgeführt werden – denn schließlich sind wir alle Kritiker*innen.
Autor: Benjamin Beil | Univesität zu Köln
Literatur
[1] Scott, A. O. (2017): Kritik Üben. Die Kunst des feinen Urteils. Carl Hanser Verlag.
[2] Rauch, E. (2018). The Reviewer and The Critic. Verfügbar unter https://static1.squarespace.com/static/5419fb17e4b073da92215d8e/t/5bce4e801905f44d8efb98bf/1540247171761/readyset_zam_com_article_1696_the_reviewer_and_the_critic.pdf.
[3] Bogost, I. (2015). How to Talk About Videogames. University of Minnesota Press.
[4] Schreier, J. (2012). Why Are Game Developer Bonuses Based On Review Scores? Verfügbar unter https://kotaku.com/why-are-game-developer-bonuses-based-on-review-scores-5893595.
[5] Polygon.com (2017). The 500 Best Games of All Time. Verfügbar unter https://www.polygon.com/features/2017/11/27/16158276/polygon-500-best-games-of-all-time-500-401.
[6] Rivera, J. (2015). Why Video-Game Culture Is Stuck Between Leftism and Libertarians. Verfügbar unter http://www.vulture.com/2015/10/gamers-stuck-between-leftists-and-libertarians.html.
[7] Deutscher Computerspielpreis (2018). Kriterien für die Juryarbeit – Zugangsvoraussetzungen und Qualitätskriterien. Verfügbar unter https://deutscher-computerspielpreis.de/kriterien.
[8] Huberts, C. (2016). Deutscher Computerspielpreis: No risk, just fun. verfügbar unter https://www.zeit.de/digital/games/2016-03/deutscher-computerspielpreis-nominierte.
[9] Gieselmann, H. (2012). “Killerspiele” erhalten Deutsche Computerspielpreise. Verfügbar unter https://www.heise.de/newsticker/meldung/Killerspiele-erhalten-Deutsche-Computerspielpreise-1561106.html.
[10] Fischer, M. (2017). Heftige Kritik am Deutschen Computerspielpreis. Verfügbar unter https://www.heise.de/newsticker/meldung/Heftige-Kritik-am-Deutschen-Computerspielpreis-Nicht-korrekt-nicht-fair-unsaubere-Wahl-3699861.html.