Dass digitale Spiele auch Kunst sein können, wurde in der Vergangenheit vielfach diskutiert. So widmeten sich in der Vergangenheit verschiedene Ausstellungen (z.B. im Victoria and Albert Museum in London) oder Bildbände dem Medium Games als Kunstwerk aus verschiedenen Perspektiven. Neben der kulturellen Bedeutung sowie den medienhistorischen Aspekten klassischer Titel sind auch die Spiele von Bedeutung, die sich in der Ästhetik und Spielmechanik besonders durch kreative und künstlerische Aspekte auszeichnen. Eines dieser Spiele ist GRIS, welches von Nomada Studios entwickelt und im Dezember 2018 von Devolver Digital veröffentlich wurde.
Keine großen Erklärungen
Schon zu Beginn fällt auf, dass sich GRIS von den meisten Spielen darin unterscheidet, dass es keine Informationen zu Hintergrundgeschichte oder Spielmechanik gibt. Die Protagonistin steht auf der immensen Hand einer steinernen Statue und singt. Kurz darauf verändert sich die Atmosphäre, sie verliert ihre Stimme, die Hand unter ihr bricht auseinander und sie fällt in die Tiefe. Darüber hinaus gibt es keine weiteren Erklärungen, nur den Pfad geradeaus, der sich vor den Spieler*innen auftut. Auch die Farbe ist fast gänzlich aus der Umgebung verschwunden und der Weg ist vorerst mühselig, da die Schritte anstrengend zu sein scheinen. Mit der Zeit ändert sich dies jedoch und es gibt verschiedene Gebiete zu erkunden. So bewegt man sich nach und nach durch karge Landschaften, Wüstengebiete, Ruinen, Wälder und sogar unter Wasser. Immer wieder gibt es Lichtpunkte zu entdecken und zu sammeln, wodurch sich an bestimmten Orten neue Wege erschließen.
Allgemein ist das Szenario größtenteils verlassen und einsam, wodurch eine melancholische Grundstimmung entsteht. Sobald in einem Gebiet alle relevanten Aufgaben gelöst sind, erhält die Protagonistin eine neue Fähigkeit. So kann sie fortan beispielsweise bröckelige Bodenplatten zerstören, um Gebiete darunter zu erkunden oder einen Doppelsprung ausführen, um höhere Vorsprünge zu erreichen. Zudem erhält die Welt der Protagonistin mehr und mehr Farben zurück, was ebenfalls als stilistisches Mittel Teil der besonderen Ästhetik ist. Denn die Optik erscheint in einem sehr künstlerischen Aquarell-Design. Jede Szene wirkt wie ein Gemälde aus verlaufenden Wasserfarben, was der Spielwelt nach und nach mehr Lebendigkeit verleiht. Hier erinnert der Titel aufgrund der besonderen Ästhetik und der 2D-Optik mitunter an Child of Light (2014), was jedoch spielmechanisch mehr im Rollenspiel-Genre verortet ist.
Exploration als Spielziel
Im Fokus des Spiels steht die Exploration der Spielwelt. Diese ist sehr gradlinig, es gibt jedoch auch versteckte Objekte und kleinere Rätsel abseits des Weges zu entdecken. Was es mit alldem auf sich hat, sollen sich die Spieler*innen währenddessen selbst erschließen. Auch dieses Prinzip ist aus anderen Titeln bekannt; für Typen von Spieler*innen, die sich mit dem ruhigen und langsamen Gameplay nicht anfreunden können, kann der Einstieg jedoch schwerfallen. Wer sich allerdings auf diese gefühlvolle Geschichte einlässt, wird Parallelen zu der Reise aus Journey (2012) erkennen. Diese Gemeinsamkeiten lassen sich in der Ästhetik, der simplen Spielmechanik, der Atmosphäre und dem emotionalen Ambiente sowie der Rezeption erkennen.
Zudem beinhaltet GRIS, wie auch Journey, einen wunderschönen Soundtrack mit musikalischen Stücken, die das Geschehen optimal untermalen. Die orchestrale Musik ist passend zu den verschiedenen Stimmungen der jeweiligen Szenen arrangiert. Mal sind die Klänge fröhlich und melodisch, mal sind sie tieftraurig und ruhig oder gar hektisch und aufregend. Auch die Soundeffekte fügen sich in die auditive Kulisse ein und runden das musikalische Konzept ab.
Verlust, Wut, Trauer …
Ohne zu viel zu verraten, wird schnell deutlich, dass es sich um eine emotionale Reise durch das Seelenleben der Protagonistin handelt, die ein schicksalhaftes Ereignis verarbeitet. So verändert sich die anfangs ruhige Stimmung im Verlauf und wird auch feindselig, unruhig bis zu tieftraurig und letztlich kathartisch. Das Muster der fünf Phasen der Trauer wird auch nochmal in den spieleigenen Errungenschaften verdeutlicht und ist ein gern genutztes Konzept in digitalen Spielen, um einen seelischen Konflikt und eine emotionale Reise zu verdeutlichen und spielerisch erlebbar zu machen. Dieses Thema wird in bekannten Spielereihen, wie The Legend of Zelda: Majoras Mask (2000), aber auch Indie-Games, wie beispielsweise in RiME (2017), genutzt.
Emotionale Reisen durch die Gefühlswelten von Protagonist*innen lassen sich in digitalen Spielen besonders gut umsetzen. Da Spieler*innen die Handlungen selbst erproben, können sie dabei gut nachempfinden, wie sich die Figuren fühlen. Man wird wütend, wenn ein Hindernis unbezwingbar erscheint, spürt Verzweiflung, wenn man immer wieder zurückgeworfen wird, ist traurig, wenn alle Anstrengungen letztlich nicht erfolgreich sind oder erleichtert, eine Situation nach mehrfachen Versuchen zu meistern. GRIS setzt dies sehr gekonnt um und verbindet Spielmechaniken mit einem ästhetischen und künstlerischen Design. Die Steuerung ist schnell zugänglich und es gibt kaum Einstiegshürden. Insgesamt hat das Abenteuer eine Spielzeit von etwa fünf Stunden und kann über Steam auf dem PC oder auf der Nintendo Switch gespielt werden.
Allein aufgrund der künstlerischen Aufmachung und der audiovisuellen Ästhetik spricht der Titel auch Spieler*innen an, die sonst vielleicht weniger mit dem Medium anfangen können. Dies liegt unter anderem daran, dass die Macher explizit Künstler*innen angefragt haben, um bei der Entwicklung zu unterstützen. Bemerkenswert ist hierbei, dass der Großteil dieser Künstler*innen zuvor noch nie an einem Spiel gearbeitet hatte. Selbst der Creative Director Conrad Roset hatte zuvor beruflich noch keine Berührungspunkte mit dem Medium.
Fazit
Das Besondere an GRIS sind nicht nur die künstlerische und ästhetische Optik oder die interessante Spielmechanik. Im Fokus stehen die Atmosphäre und das emotional aufgeladene Ambiente. Wer sich für derartige Abenteuer begeistern kann, erlebt hier eine gefühlvolle Reise durch das Seelenleben und die Gefühlswelt der Protagonistin. Allgemein regt der Titel zum Nachdenken an, hinterlässt eine sentimentale und melancholische Stimmung und ist aufgrund der geringen Einstiegshürden einem breiten Personenkreis zugänglich.