Wofür braucht man euch eigentlich? Die Antwort auf diese Frage fiel dem Spiele-Journalismus lange sehr leicht. Inzwischen fällt sie ihm erstaunlich schwer.
Hätte man um die Jahrtausendwende die Prognose gewagt, dass der Spiele-Journalismus in 20 Jahren ums nackte Überleben kämpft, dann hätten Chefredakteure[1] vermutlich mit den Augen gerollt, sich eine Camel Light angezündet und den nächsten Auflagenrekord gemeldet. Allein im Frühjahr 2002 verkauften vier große deutschen Spiele-Magazine – Computer Bild Spiele, GameStar, PC Games und Bravo Screenfun – jeden Monat rund 1,4 Millionen Hefte, hinzu kamen zahlreiche kleinere Publikationen, zeitweise wurden monatlich knapp zwei Millionen Hefte abgesetzt, und ein Ende der Goldgräbertage schien nicht in Sicht.
Dieser Beitrag ist Teil des Dossiers Spiele & Journalismus. Eine Übersicht über alle Beiträge des Dossiers gibt es hier | Titelbild-Quelle: Awaken Realms / Tainted Grail: The Fall of Avalon Cover
Schließlich boomte der internationale Spiele-Markt in einem atemberaubenden Tempo, bald wäre die junge Industrie größer als das Film- oder Musikgeschäft, und während Radio und Fernsehen abseits von Killerspieldebatten keinen Zugang zum neuen Medium fanden, saßen Spiele-Journalisten buchstäblich an der Quelle der Macht.
Denn sie hatten die Hoheit über den Informationsfluss – und in jener Dämmerung zwischen dem analogen Zeitalter und dem Anbruch der Digitalisierung waren Informationen noch eine harte Währung. Die oft jugendlichen Konsumenten benötigten Spiele-Magazine, um zu wissen, welche Spiele es überhaupt gab – und die Hersteller benötigten Spiele-Magazine, weil sie die oft jugendliche Zielgruppe auf anderen Wegen nicht erreichten. Spiele-Journalisten waren nicht etwa die Überbringer von Informationen, sondern die Gralshüter. Wer auf ihre Titelseiten und in ihre Magazine wollte, musste für das Privileg bezahlen, mit exklusivem Zugang, exklusiven Videos, exklusiven Bildern – oder ganz schnöde mit Geld.
Absacker im Strip Club
Petra Fröhlich weist in ihrem Beitrag zurecht darauf hin, dass Spiele-Journalisten von ihren Fans phasenweise wie Helden verehrt wurden. Aber das ist „nur“ eine Seite der Medaille. Denn auch die Hersteller behandelten Journalisten wie Rockstars, jetteten sie quer um die Welt, quartierten sie in Luxushotels ein, luden sie in teure Restaurants, schmissen Tickets für Sportveranstaltungen und Konzerte und zahlten nach durchzechter Nacht auch noch den Absacker an der Hotelbar – oder im Strip Club.
Man wäre versucht, die Spiele-Journalisten dieser Zeit als die „heimlichen Stars“ der Industrie zu bezeichnen, aber besonders heimlich war das alles nicht – eher plump und vulgär, und wenn sich je ein zaghaftes Unrechtsbewusstsein meldete, dann verlor es sich im allgemeinen Chor der mitgereisten Kollegen. „Deshalb bekommt das Spiel von mir natürlich keine bessere Wertung“, lautete ein beliebter zeitgenössischer Schlager, der gleichzeitig demonstrierte, wer in dieser Beziehung die Hosen anhatte, wessen Daumen sich am Ende hob oder senkte.
Es wäre ein Leichtes, den Stab über diese Journalisten (zu denen übrigens auch der Autor dieser Zeilen gehörte) zu brechen. Aber wenn man die Krise des Spiele-Journalismus verstehen will, dann sollte man im Hinterkopf behalten, dass sie Teil einer Struktur waren, und Strukturen bestimmen Ergebnisse. Fast alle waren junge Männer Anfang-Mitte 20, Studienabbrecher, Quereinsteiger, frisch vom Gymnasium, dem Zivildienst, dem Wehrdienst.
So gut wie keiner von ihnen (oder von ihren Vorgesetzten, was das betraf) hatte das journalistische Handwerk gelernt, institutionalisierte Fort- und Weiterbildungen existierten quasi nicht, redaktionelle Ethik-Richtlinien und Statuten glänzten durch Abwesenheit. Diese Strukturen ziehen sich bis heute wie ein roter Faden durch den Spielejournalismus. Die GameStar beispielsweise brauchte mehr als 20 Jahre, bis sie sich im April 2019 einem redaktionellen Kodex verpflichtete und diesen veröffentlichte.
Flächenbrand
Auch wenn sich der journalistische Horizont und Erfahrungsschatz der Branche in überschaubaren Grenzen hielt, waren Spiele-Journalisten – so wie alle Gralshüter – aufrichtig davon überzeugt, dass sie sich ihr Ansehen und ihre privilegierte Stellung hart erarbeitet hatten. Mehr noch: verdient. Also wurden sie völlig überrumpelt, als man ihnen den Gral wegnahm. Was für die einen eine notwendige Demokratisierung der Informationen im Zeitalter der Digitalisierung bedeutete, der Sieg der Netzfreiheit, Informationen als kostenloses Grundrecht, war für die Gralshüter ein Bauernaufstand, den es um jeden Preis niederzuschlagen galt – und dem wie bei einem Flächenbrand bald weitere Aufstände folgten, bis man sich in einem Stellungskrieg wiederfand und mit ungläubigem Entsetzen feststellte, dass man ihn verlor.
Seit seiner Geburt in den 1980ern hatte sich der deutsche Spielejournalismus maßgeblich über eine einzige Kernkompetenz legitimiert: lohnende Neuerscheinungen zu identifizieren. Das kam nicht von ungefähr, qualitativ minderwertige Produkte waren in diesem Markt lange die Regel, nicht die Ausnahme. Doch als das Internet das Bedürfnis nach Informationen und Kaufberatung plötzlich schneller und kostenlos bediente, standen die etablierten Magazine auf verlorenem Posten. Die Auflagen brachen ein.
Es begann langsam und endete tosend, ein Schneeball, der zur Lawine wird, schon nach fünf Jahren hatten die einen 30 Prozent und die anderen 70 Prozent verloren, heute existieren noch zwei der vier eingangs genannten Print-Magazine, von 1,4 Millionen verkauften Heften sind nicht einmal mehr 100.000 übrig. Selbst in der an massiven Auflageneinbrüchen nun wahrlich nicht armen deutschen Medienlandschaft ist der Niedergang der Spielemagazine geradezu beispiellos.
Plötzlich bedeutungslos?
Die Ursachen dieser Entwicklung sind gewiss nicht alle hausgemacht – und natürlich hat sich der Großteil des Geschäfts ohnehin ins ehemals verfeindete Internet verschoben, Verlage wie Webedia (GameStar) oder Computec (PC Games) konzentrieren die Anstrengungen längst auf ihre Online-Angebote. Und doch war eine diffuse Wut über diese Entwicklung jahrelang greifbar.
Plötzlich wurden dahergelaufene Youtuber – gerade hatte man sie noch paternalistisch belächelt – wie Helden gefeiert und von Entwicklerstudios wie Popstars hofiert. Plötzlich bekamen irgendwelche Online-Magazine den exklusiven Zugang, den man bislang wie selbstverständlich als den eigenen begriffen hatte. Plötzlich nahmen sich Hersteller die Frechheit heraus, ihre Neuerscheinungen eigenhändig anzukündigen, live im Internet, ohne den Umweg über ein Spiele-Magazin. Plötzlich schauten mehr Menschen einem Streamer beim Spielen zu, als den eigenen Testbericht lasen. Plötzlich war man … bedeutungslos?
Bis heute tut sich der Spielejournalismus schwer damit, die Frage nach seiner Existenzberechtigung überzeugend zu beantworten. Lange – zu lange? – hat er verbissen um einen Status gekämpft, der im digitalen Informationszeitalter obsolet ist. Und lange – zu lange? – hat er in diesem Kampf die Frage aus den Augen verloren, was er stattdessen sein könnte. Doch langsam, behutsam entstehen neue Angebote, ein neues Selbstverständnis. Und damit einhergehend natürlich auch neue Probleme und Herausforderungen. Die Gralshüter von einst waren zwar nicht gut ausgebildet, aber immerhin wurden sie gut bezahlt. Die Spielejournalisten von heute werden immer noch nicht gut ausgebildet – aber jetzt arbeiten viele am Rande von Mindestlohn und Existenzminimum.
Wenn Journalismus im Allgemeinen – und Fachjournalismus im Speziellen – einen Weg aus der Krise finden will, dann wird er nicht zuletzt die Frage nach seiner Sinnhaftigkeit neu beantworten müssen. Denn mehr als 150 Jahre lang brauchte man ihn schon alleine deshalb, um zu erfahren, was es Neues gab.
Wenn man ihn dazu nicht mehr braucht – wofür eigentlich dann?
Autor: Jochen Gebauer | Gamespodcast.de
[1] In der frühen Zeit des Spielejournalismus waren Spieleredakteure fast ausschließlich männlich – um das deutlich abzubilden, wird in diesem Text die männliche Form verwendet.
Herzlichen Dank für diesen lesenswerten und interessanten Beitrag. Ich selbst bin mit Print-Spielemagazinen seit den frühen 1980er Jahren aufgewachsen und verfolge die Wandlung des Mediums seit jeher. Tatsächlich bin auch ich der Meinung, dass sich die ursprüngliche Form längst überlebt hat und ein gedrucktes Magazin in der heutigen Zeit andere Werte als früher bieten muss. Als eine Alternative empfinde ich essayhafte Publikationen wie das WASD oder das GAIN Magazin. Ersteres gefällt beispielsweise deshalb, weil es Meta-Texte über das Medium bietet und man spürt, dass die Beiträge subjektiv und unabhängig sind. “Objektive” Reviews zu Spielen braucht wirklich niemand mehr in Papierform. Ich glaube, dass der Schlüssel in persönlichen und meinungsorientierten Texten liegt, die zum Diskurs und Nachdenken anregen.
Ich habe lange im Printbereich gearbeitet (Kataloge, Magazine, TV & Klatschblätter, Postwurfwerbung) und kann mich in den Text so richtig reinfühlen. Vielen Dank dafür!
Ich habe den Untergang von Druckereien selbst live miterlebt und das hat lange Zeit Spuren in meinem Leben hinterlassen – beruflich, wie auch familiär und finanziell sowieso.
Die Aktualität des Internet, da konnte und kann einfach kein Printmedium mit seinen Vorstufen und der Produktion hinterherkommen.
Als Kehrseite der Medaille kann die Schnelllebigkeit des Internet für mich persönlich aber auch nicht das bieten, was ein qualitativ hochwertiges Printmagazin bieten kann, wie beispielsweise in Form von dicken Sonderheften, bei denen es um nicht brandheiße & aktuelle Themen geht, sondern spezielle Themen aufgreift. Das könnte auch aus dem Spielesektor sein, keine Frage. Das ist in meinen Augen auch die einzige Möglichkeit für den Industriezweig, bestehen zu bleiben – vermutlich aber noch weiter geschrumpft als heute sowieso schon.
Ich habe damals selbst viele Spielezeitschriften förmlich aufgesogen, war es doch lange – neben Gerüchten und Messen – die einzige Informationsquelle für Interessierte. Jetzt geht alles ganz schnell, Gerüchte, News, Updates, Updates zu den News, Updates zu den Updates, das Onlinemedium überschlägt sich und stolpert über die eigenen Füße.
Mittlerweile bin ich so weit, dass ich bewusst herunterschraube und erstmal abwarte, Apps bewusst deinstalliere und News die Meldungen untersage. Der Hype der Schnelllebigkeit ist für mich etwas verblasst und hat etwas von seinem Zauber eingebüßt. Finde ich die Zeit, verkrieche ich mich gerne mal wieder mit einem guten Buch in die Ecke. Die Seiten fühlen, Kopfwelten aufbauen, vielleicht kurz über das herausgefallene Lesezeichen ärgern, manchmal nach Wochen der Nichtbenutzung froh sein, dass das Buch keinen Akku hat.
Ich denke nicht, dass ich mit fast 43 plötzlich alt bin, nur bewusster.