Der Spielhallen-Automat sah aus wie ein holzfurnierter Schrank mit eingebautem Bildschirm. Im Jahr 1972 sorgte er für eine Revolution: Das Arcade-Spiel Pong brachte Handlungsvertonende Geräusche ins digitale Spiel und damit eine erste Kopplung von digitalen Spielhandlungen und Tönen in die Köpfe der immer zahlreicher werdenden Pong-Spieler*innen.
Dieser Beitrag ist Teil des Dossiers Musik & Sound. Eine Übersicht über alle Beiträge des Dossiers gibt es hier | Titelbild-Quelle: Benjamin Strobel
Der Bildschirmhintergrund war schwarz, darauf zu sehen eine schlichte, weiße, gestrichelte Mittellinie und ein springender Punkt, der Ball. Links und rechts ein kurzer vertikaler Strich als Tennisschläger und auf beiden Seiten eine Zahl am oberen Bildrand, der Punktestand. Ziel war es, den Punkt mit Hilfe der beiden Striche von der einen Seite der Linie auf die andere zu befördern, bis er im Aus landet. Es spielten zwei Spieler*innen gegeneinander, die Striche wurden mit Hilfe eines Drehknopfes am Automaten von oben nach unten bewegt.
Der Punkt konnte auf einen Strich oder an die Bande in Form des oberen oder unteren Bildschirmrandes prallen, was jeweils mit einem kurzen Piepton in unterschiedlicher Tonlage hinterlegt war. Wurde der Punkt an einem Schläger vorbei ins Aus am rechten oder linken Bildrand gespielt, ertönte ein langgezogener Piepton.
Die Hardware vertont das Spiel
Mit Pong zogen vertonte Spielhandlungen in die Spielhallen ein. Spiele sprachen damit nicht mehr nur den Seh-, sondern auch den Hörsinn an, verknüpft mit den spielimmanent eingeschränkten, individuellen Handlungen der Spieler*innen. Der Auftraggeber von Pong und spätere Atari-Gründer Nolan Bushnell soll sich von seinem Ingenieur Allan Alcorn gewünscht haben, dass im Hintergrund ein Publikum zu hören ist – jubelnd oder Buh-rufend – je nach Punktegewinn oder -verlust. Doch hierfür fehlte es in der frühen Geschichte der digitalen Spiele noch an den nötigen Schaltkreisen (vgl. Jech, 2017).[1] Pong besaß, wie andere erste Spieleautomaten auch, keinen Soundchip. Die Geräusche basierten auf dem kreativen Umgang mit Spannungsspitzen der Schaltkreise, die durch Verstärkung hörbar gemacht wurden (vgl. Dittbrenner, 2005, 7).[2]
Soundgeneratoren lassen die Automaten antworten
Eine bedeutende Weiterentwicklung findet sich beispielsweise beim Arcade-Spiel Space Invaders aus dem Jahr 1978. Der Monitor des neuen Spielautomaten konnte neben Schwarzweiß auch die Farben Grün und Rot darstellen. Die Spieler*innen hatten das Ziel, eine sich in der oberen Bildschirmhälfte bewegende Schar Außerirdischer mit einem am unteren Bildschirmrand befindlichen Abschussgerät zu treffen. Die Spielhandlungen wurden mit mehreren Geräuschen illustriert. Das Abfeuern ertönte als Zischton, ein Treffer als Piepton.
Bis hierhin findet sich die gleiche, Spielhandlungen untermalende Funktion der Geräusche wie bei Pong.
Darüber hinaus beinhaltete das Spiel eine sich zunächst gleichbleibend schnell wiederholende, jedoch mit fortschreitendem Spielverlauf schneller werdende Abfolge von vier Bass-Tönen in drei Tonhöhen. Damit wurden nicht mehr nur die Handlungen der Spieler*innen mit Ton untermalt, sondern auch die Aktionen der digitalen Gegenspieler, der Außerirdischen. Ihr Verhalten wurde mit Geräuschen vertont, bei denen es sich per Definition um Musik als „Kunst, Töne in bestimmter (geschichtlich bedingter) Gesetzmäßigkeit hinsichtlich Rhythmus, Melodie, Harmonie zu einer Gruppe von Klängen und zu einer stilistisch eigenständigen Komposition zu ordnen; Tonkunst“ handelt (Duden, 2018).[3]
Die Bass-Töne folgen in ihrer steten Abfolge mit steigendem Tempo einer klaren Gesetzmäßigkeit hinsichtlich Rhythmus und Melodie. Dies in Relation zum Fortschritt des Spielverlaufs. Das heißt, es handelt sich nicht nur um eine einfache Form von Musik, sondern sogar um eine erste Form von adaptiver Musik. Hierbei passt sich „die Musik der jeweiligen Spielsituation an (Adaption), ohne dass der Spieler die Änderungen bewusst herbeiführt“ (Krause, 2008, S. 8).[4]
Im Gegensatz dazu vertonen die Geräusche, die die Spielhandlungen bei Space Invaders und Pong untermalen, das individuelle, auf den Spielverlauf reagierende Verhalten der Spieler*innen.
Im Rahmen einer räumlichen Positionierung der Geräuschquelle kann hier in Anlehnung an den Begriff der diegetischen Musik von diegetischen Geräuschen gesprochen werden, da die Geräuschquellen sichtbarer, immanenter Teil der Spielhandlungen sind. Für diegetische Musik gilt, dass „ihre Soundquelle innerhalb der Szene verortet ist, zum Szeneinventar gehört und folglich auch innerhalb der Szene wahrnehmbar ist. In dieser Form kann sie zu einem immanenten Teil der Handlung werden, wie es ganz besonders in Musik- und Tanzfilmen der Fall ist.“ (Berndt, 2013, S. 295).[5]
Im Spiel Pong stellt der sich bewegende Punkt die Quelle der Geräusche dar, wenn er an die Bande oder auf einen Strich prallt und ins Aus geht. In Space Invaders ist das Abschussgerät am unteren Bildrand die Geräuschquelle.
Pixel Alien aus Space Invaders.
Bildquelle: Axel Pixel | CC BY-SA 3.0
Bei den vier Bass-Tönen in Space Invaders handelt es sich um ein Beispiel für nicht-diegetische oder auch extra-diegetische Musik. Diese ist „nur für das Publikum hörbar. Sie repräsentiert eine eigenständige Bedeutungsebene. Aus ihrem Zusammenwirken mit den Inhalten der anderen medialen Ebenen, seien es Bild, Sprache oder Geräusch, ergeben sich ihre narrativen Funktionen. Die Musik wirkt hier emotionalisierend, sie erfüllt rhetorische Aufgaben, etwa als Mittel zur Unterstreichung, Maskierung und Hervorhebung.“ (Berndt, 2013, S. 295f).[5]
Die Soundquelle der vier Bass-Töne ist nicht innerhalb der Spielhandlung verortet. Der Ton wirkt gemeinsam mit den sich visuell nähernden Außerirdischen spannungssteigernd und beinhalten damit auch eine narrative Funktion. Spieler*innen erhalten durch die Musik zusätzlich zum visuellen auch über den auditiven Kanal einen Hinweis darauf, dass sie schnell agieren müssen, um das Spiel zu gewinnen.
Der Sound von Space Invaders wurde über einen eigens zu diesem Zweck zusätzlich eingebauten, analogen Soundgenerator erzeugt. Hierdurch konnte der durchgängige Soundtrack realisiert werden (vgl. Dittbrenner, 2005, S. 7).[2]
Die Melodien werden komplexer
Die Technik entwickelte sich schnell weiter. Als zu Beginn der heute so bezeichneten 8-Bit-Ära, Anfang der Achtziger Jahre, 8-Bit-Prozessoren und 64 KB Speicher zur Verfügung standen, konnten Spieleoptik und Spielesound deutlich komplexer und detailreicher gestaltet werden.
Einige Beispiele für bedeutende Spiele der 8-Bit-Ära hat Franz Graser im Jahr 2012 für die Fachzeitschrift „Elektronik Praxis – Fachwissen für Elektronik Professionals“ zusammengestellt, darunter Maniac Mansion (1987) und The Bard’s Tale (1985). [6]
1982 wurde in den USA der Commodore C64 vorgestellt und mit ihm der Sound Interface Device-Chip (SID-Chip, vgl. Dittbrenner 2005, S. 21).[2] Die herausragende Bedeutung des SID ist unter anderem in seiner großen Verbreitung und dem dadurch hohen Bekanntheitsgrad begründet. Der C64 ist bis heute der bestverkaufte Heimcomputer mit über 17 Millionen Geräten. Schon zwei Jahre nach seiner Markteinführung waren 4 Millionen Rechner weltweit verkauft (vgl. Slabihoud, 2018).[7]
Doch nicht nur die weite Verbreitung über den ersten massenhaft verkauften Heimcomputer machte seinen bedeutenden Einfluss aus, sondern auch seine hochwertige Qualität: „Er gilt heute als der beste Soundchip des Acht-Bit-Zeitalters.“ (Rettinghaus 2018, S. 269).[8] Der SID revolutionierte durch neue gestalterische Möglichkeiten die Weiterentwicklung der Computermusik. Dies hatte jedoch nur eingeschränkte Auswirkungen auf die Computerspielemusik, da lange nur sehr wenig Speicherplatz zur Verfügung stand. Die Ausreizung der technischen Möglichkeiten der Computermusik hätte zu viel des knappen Speicherplatzes verbraucht, den sich Ton und Optik der Spiele teilen mussten (vgl. Fritsch, 2018, S. 88 f).[9] Doch auch andere Technik brachte einprägsamen 8-Bit-Sound hervor. Ein Beispiel hierfür ist die von Kōji Kondō für Super Mario Bros. (1985) komponierte Spielemusik. Super Mario Bros. lief auf dem Nintendo Entertainment System (NES).
Im NES wurde der Ton in Form von fünf Soundkanälen in die CPU integriert. Die 8-bit-Videospielkonsole von Nintendo wurde am 15. Juli 1983 in Japan erstveröffentlicht (vgl. Wikipedia 2018).[10]
„Mit rhythmisch agilen und sprunghaft anmutenden Melodien gelang es Kondō, die heitere Grundstimmung des Spiels zu transportieren und die Aktionen der Spielfigur zu illustrieren. Beim Durchschreiten unterschiedlicher Welten werden zahlreiche Musiksequenzen ausgelöst, die der Beschaffenheit des Orts und der Stimmung der jeweiligen Spielsituation entsprechen. Bemerkenswert ist, wie die Musik mit den zahlreichen Soundeffekten (beim Sammeln der Punkte) harmoniert und sogar auf bestimmte Spielmodi reagiert, etwa wenn die Figur mit Hilfe eines Sterns unverwundbar wird und hierzu eine entsprechende Melodie erklingt.“ (Moormann 2015, S. 135).[11]
Die Beschreibung von Moormann illustriert gut, auf welchem Stand sich die Computerspielmusik zu dieser Zeit befindet: Computergenerierte Melodien bestehen zwar aus einer eingeschränkten Menge von wenig veränderbaren Elektro-Tönen, aber sie bringen dennoch eine Reihe einprägsamer Tonfolgen hervor. Dadurch stellen sie eine deutliche Weiterentwicklung der Computerspielmusik im Vergleich zu Space Invaders dar.
In Super Mario Bros. illustriert die Musik das Spiel hauptsächlich und hebt Orte und Situationen hervor, ohne die Spielhandlungen jedoch um einen eigenen, neuen Aspekt zu erweitern. Musik und Geräusche reagieren bereits auf konkrete Handlungen des Mario-Avatars in Form einer Wenn-Dann-Funktion. Verhält sich der Avatar auf eine bestimmte Weise, ertönt eine für das Eintreten dieser Situation festgelegte Musik oder ein festgelegtes Geräusch. Es handelt sich dabei um nicht-diegetische Geräusche und um nicht-diegetische Musik, da die Geräusch- und Musikquellen kein sichtbarer, in der Spielhandlung verorteter Bestandteil sind. Da sich die Musik den individuellen Spielehandlungen anpasst, indem sie Orte und Stimmungen illustriert, handelt es sich darüber hinaus um adaptive Musik.
Die analog zur 8-Bit-Ära als 16-Bit-Ära bezeichnete Zeit beginnt ab 1985 mit den mit 16-Bit-Prozessoren ausgestatteten Heimcomputern AMIGA, ATARI ST und APPLE MACINTOSH. Sie ist geprägt von neuen Verfahren der Klangerzeugung: (Frequence Modulation-) FM-Synthese und Sampling. Mit ihnen werden die gestalterischen Grundsätze, die sich in der 8-Bit-Ära entwickelt haben, kompositorisch weiterentwickelt. Die grundsätzlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten von Computerspielmusik ändern sich in dieser Zeit jedoch nicht (vgl. Dittbrenner, 2005, 6).[2]
Charakteristischer 8-Bit und 16-Bit-Sound im emotionalen Gedächtnis
Die technischen Möglichkeiten, insbesondere der knappe Speicherplatz, beschränkten die kompositorische Gestaltung der digitalen Spiele bis in die 1990er Jahre. Auch die Verbreitung der 16-Bit-Prozessoren änderte dies Ende der Achtziger Jahre nicht nennenswert. Dennoch brachten die eingeschränkten technischen Gestaltungsmöglichkeiten einen bedeutenden, charakteristischen 8-Bit und 16-Bit-Sound hervor (vgl. Moormann, 2015, 136).[11]
Die digitalen Spiele der 1980er und 90er Jahre sind im emotionalen Gedächtnis der damaligen Spielergeneration gespeichert und werden häufig mit Kindheitserinnerungen und unbeschwerten Zeiten assoziiert. Die dazu gehörende Spielemusik scheint diese Assoziationen und Gefühlswelten anzusprechen. Einen Hinweis darauf geben beispielsweise die Kommentare zu einem der auf YouTube am häufigsten angeklickten Videos zum Thema 8-Bit-Musik: 8-Bit Music Chiptune Mix Reloaded, auf Youtube im Jahr 2015 von MUZYKA CZLOWIEKA veröffentlicht.
Einige der Kommentare, ausgewählt rein exemplarisch im Hinblick auf von der kommentierenden Person angesprochene Emotionen und Erinnerungen:
Cacko Cackovski vor 2 Jahren:
this music actually kinda reminds me of my childhood in the 90s,and i like this musicZackernity vor 3 Monaten:
Man this brings back memories from when I was a kid, playing megaman battle network on the gba, and many other games. Running home from school to play them. Or running to your friends house to use the link cables to fight each other.The Man Rock SOlid vor 1 Jahr:
First song and now im hooked. Time to load up the sega and nintendo.“ (Youtube.com 2018)
Diese Beschreibungen geben einen Einblick in die Gefühlswelt einiger Personen, die das Video angesehen haben und sich dadurch veranlasst sahen, ihre Gedanken und Erinnerungen mit anderen Nutzern der Plattform Youtube.com zu teilen, die das Video ebenfalls anklicken.
Die folgende Tabelle fasst noch einmal die dargestellten Eigenschaften der drei näher vorgestellten digitalen Spiele zusammen:
Beispiel |
Form |
Technik zur Tonerzeugung |
Pong (1972) | – diegetische Geräusche | Verstärkung von Spannungsspitzen der Schaltkreise |
Space Invaders (1978) | – diegetische Geräusche – nicht-diegetische Musik & adaptive Musik |
Analoger Soundgenerator |
Super Mario Bros (1985) | – nicht-diegetische Geräusche – nicht-diegetische Musik & adaptive Musik |
In CPU des NES integriert |
In der neueren Geschichte der Computerspielmusik änderten sich Anfang der 1990er Jahre die technischen Möglichkeiten zur Gestaltung. Dabei rückten inhaltlich-ästhetische Schwerpunkte in den Vordergrund.
Autorin: Stephanie Stark
Literatur
[1] Jech, B. (2017). Kleine Geschichte der Video Game Music – Von „Pong“ bis „Final Symphony“. Zugriff am 25.05.2018. Verfügbar unter https://www.br-klassik.de/video-game-music-computerspielmusik-muenchner-rundfunkorchester-100.html
[2] Dittbrenner, N. (2005). Soundchip-Musik. Computer- und Videospielmusik von 1977-1994. Zugriff am 25.05.2018. Verfügbar unter https://www.pingipung.de/fileadmin/redirect/MA_Arbeit_NDittbrenner.pdf
[3] Duden (2018). Musik. Zugriff am 24.05.2018. Verfügbar unter https://www.duden.de/rechtschreibung/Musik
[4] Krause, B. (2008). Adaptive Musik in Computerspielen – Grundlagen und Konzepte zur dynamischen Gestaltung. Stuttgart: Hochschule der Medien. Zugriff am 25.05.2018. Verfügbar unter https://www.hdm-stuttgart.de/~curdt/Krause.pdf
[5] Berndt, A. (2013). Im Dialog mit Musik: zur Rolle der Musik in Computerspielen. Kieler Beiträge der Filmmusikforschung, 2013(9), 293-322. Zugriff am 25.05.2018. Verfügbar unter: www.cemfi.de/wp-content/papercite-data/pdf/berndt-2013-idm.pdf
[6] Graser, F. (2012). Die besten Computerspiele der 8-Bit-Ära. Würzburg: Vogel Communications Group GmbH & Co. KG, 30.04.2012. Zugriff am 17.05.2018. Verfügbar unter https://www.elektronikpraxis.vogel.de/die-besten-computerspiele-der-8-bit-aera-a-362539/
[7] Slabihoud, S. (2017). The C64 mini: Gelungene Neuauflage des C64. Zugriff am 17.05.2018. Verfügbar unter https://8bit-museum.de/category/computer/commodore/
[8] Rettinghaus, K. (2018). Sidology – Zur Geschichte und Technik des C64-Soundchips. In: Christoph Hust (Hrsg.). Digitale Spiele. transcript (S. 269-279). Bielefeld.
[9] Fritsch, M. (2018). Musik. In: B. Beil, T. Hensel und A. Rauscher (Hrsg.) Game Studies (S. 87-107). Mainz: Springer VS.
[10] Wikipedia (2018). Nintendo Entertainment System. Zugriff am 25.05.2018. Verfügbar unter https://de.wikipedia.org/wiki/Nintendo_Entertainment_System
[11] Moormann, P. (2015). Spiel mit Musik – Entwicklungen und Potenziale der Komposition für Games. In: Deutsches Filminstitut e.V., Hrsg. Film und Games – Ein Wechselspiel (S. 132-139). Berlin: Bertz+Fischer.