Spiel- und Bewegungslieder in der Turnhalle, Singen und Klatschen im Morgenkreis – in der frühkindlichen Pädagogik treten Musik und Spielen in eine nutz- und spaßbringende Symbiose. Oft werden sie verkettet mit Sprachvermittlung, motorischen Übungen und sozialem Lernen. Zahlreiche solcher Beispiele finden sich auf der Seite des Projektes Auditorix.
Dieser Beitrag ist Teil des Dossiers Musik & Sound. Eine Übersicht über alle Beiträge des Dossiers gibt es hier | Titelbild-Quelle: Ubisoft / Rocksmith
Im Bereich des Lernens mit digitalen Spielen im Instrumental- und Musikunterricht ist das Feld noch längst nicht so reich bestellt. Ganz im Gegenteil: Während die Jüngsten noch durch spielerische Aspekte motiviert werden müssen, so bringt man Älteren eher die Ernsthaftigkeit am Notenlesen bei. Instrumentalunterricht geschieht meist schulgleich und steht hier im Kontrast zu den Vorstellungen der Jugendlichen, die von einer steilen Karriere als Rockstar oder DJ träumen. Warum nicht die Lehrkraft durch ein Game ersetzen und das Spielen mit der Musikvermittlung verbinden – oder ist es vielleicht doch nicht ganz so einfach?
Ernsthaft spielen lernen
Es gibt bereits einige Versuche, das Handwerk des instrumentalen Musizierens spielerisch zu vermitteln. So erschien im Jahr 1990 das Miracle Piano Teaching System, bestehend aus einem Keyboard, Pedalen und einer Lernsoftware, die ähnlich aufgebaut war wie alle Edutainment-Produkte der damaligen Zeit: Neben Übungen in einem recht funktionalen Lernabschnitt konnten auch Minigames gespielt werden.
Bei der Gitarrensimulation Rocksmith (2013) von Ubisoft ist es sogar möglich, eine eigene E-Gitarre mit Kabel an den PC, Mac oder die Konsole anzuschließen, um mit interaktiver Anleitung, verschiedenen Schwierigkeitsgraden, eigenem Tempo und Belohnungspunkten das Gitarrenspiel zu lernen. Hier erinnert die optische Aufmachung an ein Rock-Konzert und auch die nachspielbaren Lieder sind überwiegend bekannte Hits des Genres.
Jan-Torge Claussen forscht zu dem Spiel am Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur der Stiftung Universität Hildesheim. Er hat die Chancen und Hürden des Musizierens mit Rocksmith an Studierenden untersucht (Claussen, 2017).[3] Der Erfolg war sehr unterschiedlich, wie die Dokumentation verdeutlicht. Die Kursteilnehmer*innen waren nicht alle gleich motiviert und setzten sich ganz unterschiedliche Schwerpunkte. Die einen nutzten das Angebot stärker als Spiel und waren von den Minigames fasziniert, während andere ehrgeizig ihr Gitarrenspiel verbesserten. Wie bei vielen digitalen Spielen im Lehr-Lernkontext gilt auch hier eine alte Feststellung von Johannes Breuer (2017): „Bestimmte Spiele können in bestimmten Bereichen für bestimmte Spieler*innen eine lernförderliche Wirkung haben“ (S. 25).[1] Somit kann zwar jede*r mit Rocksmith Gitarre spielen lernen. Voraussetzung sind aber hohe Motivation und Fleiß, wie diverse Erfahrungsberichte verdeutlichen. Gewisse Vorkenntnisse und eine anfängliche Begleitung sind ebenfalls sinnvoll, um Haltungsfehlern vorzubeugen.
Ein Artikel zum Forschungsthema von Jan Torge Claussen findet sich in der Publikation “Spielend lernen! Computerspiele(n) in Schule und Unterricht” – hier kostenlos verfügbar.
Rhythmen und Plastikinstrumente
Abseits dieser “Serious Games” gibt es einen weiteren, wesentlich populäreren Markt der Musikspiele. Hier geht es weniger darum, Menschen im Beherrschen eines Instrumentes zu unterrichten, sondern um das Bewältigen von Spielaufgaben im Takt der Musik, so genannte Rhythmusspiele. PaRappa the Rapper (1996) war eines der ersten kommerziell erfolgreicheren seiner Gattung – die eher lockere Ausrichtung kam schon durch die Story deutlich zum Ausdruck. In dem Spiel musste man als rappender Hund ein Blumen-Mädchen bezirzen und einen Konkurrenten ausstechen.
Später entstand eine ganze Flut aus unterschiedlichen Games, die das Musizieren zu einem Reaktionsspiel vor dem Bildschirm machten. Mit Guitar Hero (2005) kam hierzu ein Gitarrencontroller zum Einsatz. Im Takt der Musik galt es, die angezeigten Knöpfchen zeitkritisch zu drücken, damit ein Wohlklang entsteht. Bei Rock Band (2007) wurde die virtuelle Combo dann noch um Schlagzeug und Vocals erweitert. Das Selbstwirksamkeitserleben wird bei manchen Musikspielen noch dadurch verstärkt, dass schlichtweg keine „schiefen Töne“ entstehen, wie beispielsweise bei Wii Music (2008). Hier lassen sich durch Nachahmen der Bewegungsabläufe dutzende Instrumente ausprobieren und gemeinsam eine Band bilden.
Spielst Du noch oder musizierst Du schon?
Mitnichten beherrschen Menschen nach einer Guitar-Hero-Session das namensgebende Instrument und können ihre Fähigkeiten transferieren, obwohl das Handwerkszeug zum Verwechseln ähnlich aussieht. Fest steht allerdings: Das Spielen (Play) ist eine Performance. Einerseits vor dem virtuellen Publikum, welches vor der Bühne mit rockt. Andererseits natürlich auch dort, wo sich die Spielenden befinden: allein im Wohnzimmer, gemeinsam bei Freunden, oder sogar in der Schule oder im Jugendzentrum.
Nach Cristopher Small (1998) bedeutet „Musizieren“ (engl. „Musicking“) etwa „tak[ing] part,in any capacity,in a musical performance, whether by performing, by listening, by rehearsing or practicing, by providing material for performance (what is called composing),or by dancing“.[6]
Nach dieser Definition handelt es sich beim Spielen von Guitar Hero, Rock Band, SingStar (2004) und Wii Music auch um Musizieren. Das Augenmerk kann dabei jedoch sehr unterschiedlich sein. So unterscheidet Miller (2009) beispielsweise Leistungsorientierte (score-oriented) und Rock-orientierte (rock-orientied) Schwerpunkte. Leistungsorientierte Spieler*innen versuchen die höchste Punktzahl zu erreichen. „Their form of schizophonic virtuosity foregrounds speed, dexterity, efficiency (no extraneous bodymovement), totalmental focus, and strategic innovation. Score-oriented players point out that ‚star power‘ can be activated using a button on the controller rather than the tilt sensor; they see no reason to risk accuracy by changing their physical position“ (Miller, 2009, S. 418).[4]
Dem gegenüber stehen Spieler*innen, die ihren Fokus stärker auf die Authentizität der Performance legen. „Rock-oriented players recognize that rock authenticity is performative. They generally do value their videogame high scores, but they also believe creative performance is its own reward. As they play these games, they explore the implications of their role as live performers of prerecorded songs“ (Miller, 2009, S. 418). Sie rezitieren die gängigen kulturellen Verhaltensmuster – inklusive Headbanging und im schlimmsten Fall die mutwillige Zerstörung des Gitarrencontrollers.
Performative Erfolgserlebnisse
Diese Art der Musikaneignung ist gerade für diejenigen interessant, die sich bislang nicht an „echten“ Instrumenten erproben konnten. Im Sinne eines Selbstwirksamkeitserlebens ist es immens wertvoll, Menschen das Gefühl zu vermitteln, durch das eigene Handeln musikalisch sein zu können. Zwar registrieren Musikspiele wie Guitar Hero oder Rock Band das Drücken der Controller-Tasten, die Performance (also die Nachahmung szenetypischer Handlungen wie etwa Headbanging) wird allerdings nicht evaluiert. Entsprechend wird sie auch nicht mit Punkten belohnt – oder bei fehlerhafter Rezitation einer kulturellen Praktik gar sanktioniert. Hier kann die Pädagogik ins Spiel kommen, wie ein Projekt von Cassidy und Paisley (2013) mit dem Titel „Music Games: Supporting New Opportunities in Music Education“ zeigt.[2] Unter Begleitung durften Kinder eine eigene Band gründen, Cover gestalten, eine Tour planen und schließlich auch mit den Plastikklampfen auftreten. Im Anschluss an das Projekt wurden die Kinder nach ihrer Selbsteinschätzung befragt und nahmen sich als wesentlich musikalischer wahr.
Eine andere Studie mit Schüler*innen der sechsten Klasse untersuchte motivationale Prozesse anhand von Rockband (Roesner, Paisley & Cassidy, 2016).[5] Die Autoren heben den anpassbaren Schwierigkeitsgrad ebenso positiv hervor wie das Feedback durch Punkte, akustische Veränderungen und die Reaktion des Publikums. Auch hier schätzten die Proband*innen ihre Fähigkeiten positiv ein, was laut Studie die Motivation zum Spielen eines Instrumentes erhöhen kann. Weiterhin setzten sich die Schüler*innen laut Roesner et al. mit Rhythmus, Tonhöhe und vielen weiteren Aspekten auseinander, die musikpraktisch relevant werden können.
Ergänzend zu den Studien sei erwähnt, dass ein Ausprobieren von verschiedenen Rollen – in diesem Fall Sänger, Gitarrist oder Drummer – wichtig für die Identitätsarbeit ist und somit auch für die Entwicklung von Jugendlichen. Breuer (2017) gibt zu Rhythmusspielen insgesamt zu bedenken: „Das Üben mit echten Instrumenten und das Erlernen von Noten und Akkorden können sie jedoch kaum ersetzen“ (S. 22).[1]
Projektbeispiele
Auch in Deutschland gab und gibt es Projekte, die eine Performance aktiv einfordern und dabei die Aufführung in das Zentrum rücken. Ähnlich wie im Projekt von Roesler (2016) transformieren sich auch beim „Battle of the Bands“ Jugendliche mit Kostümen, Bandnamen und einer ansehnlichen Choreographie in Rockstars. Und wie bei Casting-Formaten üblich, werden sie dabei von einer Jury bewertet und vom Publikum angefeuert.
Musik, Gesang, Kostüme und Tanz – das sind auch die Elemente des „Singstar Festivals“ in München, das alljährlich von „SIN – Studio im Netz e.V.“ ausgerichtet wird. Hier sind alle örtlichen Kindertageseinrichtungen eingeladen, eine Band zu gründen und ihren Lieblingssong einzustudieren. Die Jury beurteilt Leistungen nach Aspekten wie Kreativstes Plakat, Originellstes Outfit, Bandname, Tollste Tanz-Choreographie und Coolste Band.
Demgegenüber ist das Veranstaltungsformat „Silver Gamer“ ein Treffen der Generationen. Hierbei betreuen Jugendliche Spielstationen in einem Seniorenzentrum. Neben Wii Sports (2006) ist SingStar Schlager (2008) stets der absolute Renner. Gemeinsames Singen spielt bei den älteren Damen und Herren ohnehin eine gehobene Rolle. Es mit einem neuen Medium und gemeinsam mit Jugendlichen erleben zu können, beschreiben alle als anregend und spannend.
Ausblick
Zurück zur Ausgangsfrage: Mit digitalen Spielen kann Musik gelehrt, gelernt und performativ erlebt werden. Sowohl allein im Kämmerlein, wie auch in einem pädagogisch ausgerichteten Rahmen in der Gruppe. Hier können motivationale Prozesse unterstützt werden und den identitätsstiftenden Prozessen beim „so tun als ob“ oder beim Spielen von „echten“ Instrumenten ein Forum bieten. Die vorhandenen Ansätze weitergedacht, kommen zahlreiche weitere Chancen zu Tage, die als Inspiration für zukünftige pädagogische Projekte dienen können. Einige Vorschläge:
Auseinandersetzung mit der Gaming-Musikkultur
Gerade für die kulturelle Bildung ist es wichtig, Spiele nicht ausschließlich als Vehikel zur Vermittlung von Instrumentalunterricht und Rhythmusgefühl anzusehen, sondern als kulturelle Artefakte zu begreifen und wertzuschätzen. Gleiches gilt auch für die Spielkulturen, die sich darum ranken. Beispielsweise gibt es eine Musikspielcommunity, die sich „Vier Pfeile“ nennt. Die Mitglieder*innen wissen, dass auf einer DDR-Tanzmatte nicht zu den Puhdys oder Karat gesteppt wird. Vielmehr handelt es sich hierbei um spezielle Gamecontroller mit drucksensitiven Feldern für die Steuerung des Tanzspiels Dance Dance Revolution (1998). Ein anderes Beispiel ist die Demo-Szene, bei der computergenerierte Musikkurzfilme entstehen. Weiterhin wären pädagogische Projekte sinnvoll, die sich mit der Chiptunes-Kultur und dem Remixen von Spieleklängen auseinandersetzen. Gerade weil Rockmusik in der Jugendkultur den elektronischen Klängen zunehmend weichen muss, ist das Erlernen von Synthesizern, Sequenzern und Samplern sicherlich spannend. Auch ein Game Boy kann als Musikinstrument benutzt werden.
Intergenerative, inklusive und integrative Methoden mit Musikspielen
Gleichsam Musik wie auch das digitale Spiel haben eine verbindende Funktion, ermöglichen Kommunikation jenseits von Sprache und machen schlichtweg Spaß. Gerade die Möglichkeit, den Schwierigkeitsgrad zu verändern, sich Hilfen anzeigen zu lassen und ein direktes Feedback auf die Eingabe zu erhalten, ermöglicht es Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Vorkenntnissen, gemeinsam spielen und musizieren zu können. Und durch die Wahl der Musik fühlen sich auch verschiedene Geschmäcker angesprochen.
Musikunterricht mit Rhythmusspielen anreichern
Wie bereits erläutert, ist der Prozess des Musizierens nicht an die Beherrschung eines Instrumentes gekoppelt. Deshalb gehören auch digitale Rhythmusspiele in den Musikunterricht. Wer zuhause keinen Zugang zu einem Instrument erhält, der kann sich auf diese Weise ebenfalls musikalisch betätigen. So kann auch das Selbstwirksamkeitserleben gefördert werden.
Trend der Appmusik nutzen
Bildungseinrichtungen bemängeln oft die fehlenden technischen und finanziellen Ressourcen, wenn es um den Einsatz digitaler Spiele geht. Abhilfe kann das Konzept des Bring Your Own Device (BYOD) sein, bei dem man Geräte nutzt, die die Teilnehmenden selbst mitbringen – versicherungsrechtliche Abklärung vorausgesetzt.
Die Forschungsstelle Appmusik– Institut für digitale Musiktechnologien in Forschung und Praxis an der Universität der Künste Berlin widmet sich den zahlreichen Musik-Apps auf mobilen Endgeräten. Hierbei werden Formen musikalischer Praxis mit Apps erforscht, musikpädagogische sowie -ästhetische Fragestellungen erörtert und den noch recht geringen Bestand an Studien, Projekten, Social-Media-Angeboten, Communities sowie Einzelakteur*innen ein Dach geboten. Interessierte finden diverse Projektberichte für Kita und Schule.
Einsatz im Sportunterricht
Bewegungsintensive Musikspiele können auch als Exergames eingesetzt werden, also zum Zwecke der Rehabilitation und Bewegungsförderung. Dies wird bereits praktiziert und bildet einen eigenen wissenschaftlichen Diskurs, der in Zukunft noch vertieft werden kann.
Fazit
Musikpädagogik mit digitalen Spielen bietet einige interessante Perspektiven. Auch das Grimme-Institut greift dies auf, beispielsweise in einem Workshop-Angebot für Lehrkräfte im Rahmen des gamescom congress und auf dem Next Level Festival for Games 2018. Es bleibt spannend, ob weitere interessierte Pädagog*innen neugierig werden und die digitalen Musikspiele praktisch einsetzen. Ideen gibt es genug!
Autor: Daniel Heinz
Literatur
[1] Breuer, J. (2017). Non vitae, sed ludo discimus? Grenzen des Lernens mit Computerspielen. In W. Zielinski, S. Aßmann, K. Kaspar, P. Moormann (Hrsg.), Spielend lernen! Computerspiele(n) in Schule und Unterricht (S. 17–26). München: kopaed.
[2] Cassidy, G. & Paisley, A. (2013). Music-games: A case study of their impact. Research Studies in Music Education, 35(1), 119–138.
[3] Claussen, J. T. (2017). Aus Spiel wird Ernst: Vom Verlassen des Zauberkreises, der Allgegenwärtigkeit digitaler Systeme und Musikvideospielen im Schulunterricht. In W. Zielinski, S. Aßmann, K. Kaspar, P. Moormann (Hrsg.), Spielend lernen! Computerspiele(n) in Schule und Unterricht (S. 139–47). München: kopaed.
[4] Miller, K. (2009). Schizophonic Performance: Guitar Hero, Rock Band, and Virtual Virtuosity. Journal of the Society for American Music, 3, 395–429.
[5] Roesner, D., Paisley, A. & Cassidy, G. (2016). Guitar Heroes in the Classroom: The Creative Potential of Music Games. In M. Austin (Hrsg.), Music video games. Performance, politics, and play (S. 197–228). New York.
[6] Small, C. (1998). Musicking: The Meanings of Performing and Listening. Hanover: University Press of New.