Über Computerspiele sprechen und schreiben ist ein Problem. Obwohl digitale Medien inzwischen zu den beliebtesten und erfolgreichsten Kulturprodukten gehören und obwohl einzelne Titel, wie zuletzt Red Dead Redemption 2 (2018), wie große Filme oder Romane gefeiert werden, ist der Diskurs über Spiele noch immer von vielen Vorurteilen und Klischees belastet. Es fehlt an einer Diskussionsform über digitale Medien.
Dieser Beitrag ist Teil des Dossiers Spiele & Journalismus. Eine Übersicht über alle Beiträge des Dossiers gibt es hier | Titelbild: Grimme Game
Das Feuilleton könnte der Ort sein, an dem eine Sprache für den Umgang mit Computerspielen gefunden wird, die nicht nur akademisch oder technisch ist, sondern die einen allgemeinen Umgang mit der Kunstform fördert. Denn digitale Spiele stehen wie kein anderes Medium für die digitale Transformation, mit der sich fast jeder Gesellschaftsbereich derzeit auseinandersetzen muss.
Historisch betrachtet lassen sich zwischen Computerspiele und dem Feuilleton interessanterweise unerwartete Parallelen beobachten: Beide müssen sich ständig rechtfertigen. Beide stehen unter dem Verdacht, sich wichtiger zu machen, als sie sind. Sie gelten als eskapistisch, nicht ernsthaft und nicht relevant. Dabei prägen beide schon lange den öffentlichen Diskurs. Trotz ihrer Gemeinsamkeiten und ihrer natürlichen Affinität unterhalten beide auch heute noch ein unterkühltes Verhältnis zueinander. Dieser Text soll beleuchten, was beide leisten könnten und müssten, damit sich das ändert.
Das Blättchen und das Spiel
Schon vor fast 100 Jahren regte sich Joseph Roth über die Vorurteile dem Feuilleton gegenüber auf. Im Berliner Börsen-Courier schrieb er: „Die Vollbartmänner, die Ernstlinge und Würderiche, geringschätzen das Feuilleton. Ich könnte jetzt wunderbare, bunte Seifenblasen schreiben; wahre Regenbogenblasen. Aber nur die Frauen und Kinder Gebliebenen würden sich dran freuen. Die Männer dagegen behaupten, sich lediglich mit ewigen Dingen zu beschäftigen. Als da sind: Handel mit Strumpf- und Wirkwaren, Aufkaufen brüchiger Asbestplatten, Füllfederpatente, Pappdeckelherstellung; oder: Politik, Friedensverträge zum Beispiel, und internationale Handelsverträge; oder: Wissenschaft, Umlaute im König-Rotharlied, Permutationen und Zusätze zu Einsteins Relativitätstheorie.“
Was Roth damals über das Feuilleton schrieb gilt noch heute und lässt sich leider auf die Wahrnehmung von Computerspielen ausweiten. Da hilft es auch nicht viel, dass schon einmal Bundeskanzlerin Angela Merkel die Gamescom eröffnet hat. Oder dass sich die Computerspielwissenschaft langsam als ernstzunehmende akademische Disziplin etabliert. Den hartnäckig behaupteten Wunsch, dass Computerspiele als Kunstform und Wirtschaftsfaktor unangefochten in der Mitte der Gesellschaft angekommen seien, ließ erst in diesem Jahr die missglückte Verleihung des Deutschen Computerspielpreises mal wieder wie eine bunte Seifenblase platzen. Dabei wäre die Branche was ihre kulturelle genauso wie wirtschaftliche Bedeutung angeht längst so weit, ihren Platz als wichtiges und ernstzunehmendes Medium zu behaupten.
Diese Notwendigkeit der ständigen Verteidigung hat ähnliche Ursachen, denn sowohl das Feuilleton, als auch die Computerspiele sind aus anderen Medien heraus entstanden. Feuilleton bedeutet wörtlich „Blättchen“ und war ein um 1800 entstandenes, kleineres Seitenformat, das an die bestehenden Zeitungsseiten angefügt wurde und in der Regel kürzere, eher leichte und unterhaltsame Texte aus dem Kultur-, vor allem aus dem Theaterbetrieb enthielt. Von den vermeintlich ernsthafteren Inhalten aus Politik und Wirtschaft war das „Blättchen“ durch einen Strich abgegrenzt, wenn also im 19. Jahrhundert etwas in der Zeitung „unter dem Strich“ stand, dann handelte es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen Feuilleton-Artikel.
Mit dem Erfolg kommt die Skepsis
Trotz der schon formalen Marginalisierung des Feuilletons setzte sich bald diese neue Art des leichten, aber klugen Kulturjournalismus in verschiedenen Varianten, in ganz Europa durch. Schon in der Entstehung ist aber die Konkurrenz des Feuilletons zu den anderen, harten Themen der Zeitung angelegt gewesen. „Je erfolgreicher und beliebter das Feuilleton als Sparte der Zeitung wurde, desto mehr Skepsis, Misstrauen und Abwehr erzeugte es“, schreiben Hildegard Kernmayer und Erhard Schütz in ihrem Aufsatz „Oberfläche unterm Strich. Zur Geschichte und Poetik der kleinen Form“. „Feuilletonismus hat sich als Schimpfwort bis heute gehalten, wenn es darum geht, einem Autor, einer Autorin mangelnde Seriosität, Oberflächlichkeit oder Formverliebtheit vorzuhalten.“
Dass ihnen mehr Skepsis, Misstrauen und Abwehr entgegenschlug, je erfolgreicher sie wurden, gilt genauso für Computerspiele. Die ersten Spiele entstanden schon in der Mitte des 20. Jahrhunderts, ebenfalls als Nebenprodukt. Auf den frühen Rechnern von Firmen wie IBM, die damals noch nur von wenigen Expert*innen benutzt wurden, liefen schon einfache Spielprogramme. Auch hier war von Anfang an klar: Computer dienen in erster Linie der Verarbeitung und Sicherung von Daten, in einem weiteren Schritt vielleicht noch der Kommunikation. Spielen kann man mit ihnen zwar auch, aber das ist wie die bunten Seifenblasen des Feuilletons: Ganz nett, eigentlich geht es aber um etwas Anderes, Ernsteres.
So dauerte es auch noch einige Jahre, bis sich erst langsam mit dem Atari in den Siebziger-Jahren, mit den Arcade-Spielhallen und dann in den Achtziger-Jahren mit den Konsolen von Nintendo und Sega Computerspiele als Unterhaltungsmedium durchsetzten. Obwohl ein wirtschaftlicher und, wie man heute weiß, auch in ihrem kulturellen Einfluss ein großer Erfolg, schlug den Spielen in diesen und den kommenden Jahrzehnten viel Widerstand entgegen, der teilweise bis heute anhält. Dazu kam, vor allem in Deutschland, die sogenannte Killerspiel-Debatte, in der es um die Gewaltdarstellung in Computerspielen und den Einfluss von Spielen auf Kinder und Jugendliche ging. In dieser Zeit fanden auch, obwohl unter vergleichbaren Prämissen entstanden, das Feuilleton und die Computerspiele nicht wirklich zueinander, was verschiedene Ursachen hatte.
Vom Spiel zur Spielekritik
So groß der kulturelle Einfluss einzelner früher Computerspiele bis heute ist und so groß die Pionierleistung vieler Titel für das Medium, so deutlich wird mit einigen Jahrzehnten Abstand, dass sich das Medium für viele Jahre erst selbst finden musste. Und mit ihm der begleitende Diskurs. Was völlig normal ist. Auch der Film fristete bekanntlich zunächst für viele Jahre ein Dasein als Jahrmarktsattraktion, bis er sich als Kunstform durchzusetzen begann und mit ihm dann auch die Filmkritik. So dauerte es auch bei Computerspielen einige Jahre, bis sich eine Spielekritik außerhalb der Fachzeitschriften etablierte, was aber nicht nur an einer Skepsis gegenüber dem neuen Medium lag, sondern auch daran, dass sich bis weit in die Neunziger die wenigsten Spieleentwickler*innen als Künstler*innen verstanden und im Rahmen einer allgemeinen Kulturberichterstattung deshalb vor allem als Kuriosum eine Rolle spielten.
Spiele waren – und sind es in erster Linie auch heute noch – ein Produkt der Unterhaltungsindustrie mit häufig wenig ästhetischem und gesellschaftskritischem Anspruch und wurden auch seit den Achtziger-Jahren als solches vermarktet. Die Zielgruppe waren vor allem junge Männer, was sich teilweise bis heute in übertriebenen Gewaltdarstellungen und einem sexistischen Geschlechterbild niederschlägt. Man ging davon aus, dass sich junge Männer, die etwas für Technik übrighaben, auch besonders für krachende Action und Sex interessierten. Obwohl Actionfilme im Feuilleton besprochen werden, lief diese Vermarktung und Selbstdarstellung dem Feuilleton, das sich mit der Hochkultur auseinandersetzt, zuwider. Denn Gegenstand der Kulturkritik sind Ästhetik und sozialer Diskurs.
Computerspiele als Kunst und Kultur
Der Kunstanspruch, den viele, vor allem unabhängige Spieleentwickler*innen heute haben, spielte für die meisten frühen Computerspiele keine große Rolle – wichtiger waren formale Aspekte, wie immer bessere Grafik und eine gute, funktionierende und vor allem unterhaltsame Spielmechanik. Dabei gab es für kurze Zeit eine Reihe von „Computerspielautoren“ wie Sid Meier, John Romero und Richard Garriott, die schon früh einen künstlerischen Anspruch in die Spieleentwicklung brachten. Die sind aber inzwischen bis auf einige Ausnahmen schon wieder verschwunden. Spiele sind heute in der öffentlichen Wahrnehmung wieder die Arbeit anonymer Studios und selten einzelner kreativer Personen oder Teams. Auch deshalb werden sie oft nicht als Kunst wahrgenommen. Wir sind es gewohnt, dass Kunst einen Urheber hat und der bleibt bei Spielen oft unbekannt. An der früher nur marginalen kulturkritischen Auseinandersetzung mit Computerspielen zeigt sich also auch eine teilweise durch die Industrie verursachte Geschlechter- und Altersdiskrepanz, sowie eine Selbstmarginalisierung des Mediums durch den Fokus auf reine Unterhaltung, was zu einer eingeschränkten öffentlichen Wahrnehmung von Computerspielen geführt hat.
Das hat sich in den letzten 20 bis 25 Jahren etwas geändert. Spätestens seit den Neunziger-Jahren rückte bei vielen Computerspielen neben den technischen und spielerischen auch ein ästhetischer Aspekt in den Vordergrund. Zum Beispiel das Strategiespiel Starcraft (1998) hatte nicht nur eine bis ins Kleinste ausgefeilte Spielmechanik und etablierten sich deshalb als Pionier einer neuen Form von Videospielen, nämlich des E-Sports, sondern hatte auch ein Design, eine Dramaturgie und eine Hintergrundgeschichte, die mit jedem Science-Fiction-Film mithalten konnten.
Gerade mit der Entdeckung einer Ästhetik und komplexen Erzählform des Computerspiels wird das Medium aber für eine Auseinandersetzung im heutigen Feuilleton interessant – und rückt damit, zumindest manche Titel, in die Nähe der Hochkultur, die sonst bis lange der Literatur, dem Theater, der Musik und dem Film vorbehalten war.
Tests und amüsierte Texte
Lange gab es im Journalismus nur zwei Arten, um über Spiele zu sprechen: Es gab die „Spieletests“, Texte von Gamern für Gamer in der Fachpresse, die oft sehr viel Wert auf die technischen Aspekte legten und versuchten, zum Beispiel der Handlung eines Spiel mit denselben Mitteln zu begegnen wie der Grafik und der Tonqualität. Daneben gab es eine meist leicht amüsierte und distanzierte Beschreibung des Phänomens Computerspiel in den Feuilletons und anderen Medien. Was nach wie vor fehlt, und wo das Feuilleton eine wichtige Rolle spielen könnte, ist die Vermittlung von Spielen für eine Zielgruppe, die nicht selbst spielt, sich aber informieren möchten. Ähnlich wie bei der Theater- oder Opernkritik, die auch die Funktion erfüllt, interessierte Leser*innen über Inszenierungen zu informieren, die sie selbst nicht sehen könnte, wäre es dem Feuilleton möglich, das für viele Leser*innen etwas hermetische Thema Computerspiele zu erklären und einzuordnen.
Computerspiele im Feuilleton
Tatsächlich lässt sich in den Publikationen, die dezidiert keine Fachmedien sind, erst seit wenigen Jahren die zögerliche aber dringend nötige Entwicklung einer kritischen und zugleich allgemein verständlichen Sprache über Computerspiele beobachten, die dem Medium in seiner inzwischen erreichten, gesellschaftlichen Stellung gerecht wird. Dabei stellt sich schnell die Frage, ob denn alles, was unter dem inzwischen sehr breiten Begriff Computerspiele fällt, auch für einen kulturellen Diskurs relevant ist. Das hängt natürlich von verschiedenen Faktoren ab. Auch nicht jedes Buch und jede Theaterinszenierung ist für einen Kritiker oder den Diskurs relevant. Selbiges gilt für Computerspiele und muss im Einzelfall entschieden werden. E-Sport zum Beispiel gehört in der Zeitung in den Sportteil, neben die Berichterstattung über Bundesliga, Olympia und Sportpolitik, auch wenn die Akzeptanz von E-Sport als Sport etwa so schleppend voran geht wie vor einigen Jahren der Weg der Computerspiele ins Feuilleton. Wirtschaftliche Aspekte der Spieleindustrie werden mittlerweile selbstverständlich im Wirtschaftsteil der Zeitungen behandelt. Nicht jedes Thema über Computerspiele ist automatisch ein Feuilletonthema. Auch das Aussortieren und Einordnen gehört zur Auseinandersetzung des Feuilletons mit einem Medium.
Das Feuilleton kann im Umgang mit und in der öffentlichen Wahrnehmung von Computerspielen eine wichtige Rolle spielen. Das Feuilleton ist ein Ideenresort, es ist so etwas wie das Labor der Zeitung. Sprachlich und theoretisch können hier Dinge ausprobiert und angedacht werden, auch, aber nicht unbedingt nur, im tagesaktuellen Kontext. Welche Ideen stecken in den Spielen? Was haben uns Computerspiele über unsere digitale Gegenwart zu sagen? Welche Geschichten erzählen sie und wie tun sie das? Was könnten auch die Spiele von der sogenannten Hochkultur lernen, die sonst der Gegenstand des Feuilletons ist? Solche Fragen zu klären und für ein Publikum aufzubereiten sollte nicht nur Aufgabe der Medienwissenschaft, sondern auch des Kulturjournalismus sein. Diese Art des Spielejournalismus, der sich nicht nur an Expert*innen richtet, entwickelt sich gerade erst.
Autor: Nicolas Freund
Wunderbar, vielen Dank für diesen Artikel! Die Argumentation bezüglich der Parallele zwischen Feuilletons und Games leuchtet mir sehr ein. Und ich glaube, dass es nicht nur um das “Freizeit-Publikum” geht, das “aufgeklärt”/besser informiert werden sollte, sondern auch um andere Fachdisziplinen. Ich selbst beschäftige mich derzeit intensiv mit dem psychotherapeutischen Wert von Games und strebe auch eine Promotion in diesem Bereich an – in dem Fall ginge es also darum, die Inhalte in die Fachdisziplin der Psychologie/Psychotherapie zu tragen. Einen kleinen Anfang als niedrigschwelliges Angebot habe ich mit meinem Blog “Tiefengaming” ins Leben gerufen. Aber ja – es ist mühsam, eine gute Diskussions(platt)form zu finden bzw. zu erschaffen. Vielleicht können wir ja alle – auch über einen Artikel wie diesen – unseren kleinen Beitrag dazu leisten.