Spiele und der Grimme Online Award? Geht das zusammen? Und wenn ja: wie? Diese Frage stellen sich das Preisteam und die Nominierungskommission jedes Jahr aufs Neue. Spielerische Elemente waren schon von Anfang an Teil der nominierten und prämierten Angebote. Allerdings meist der für Kinder. Aber auch Angebote für Erwachsene können mit Spieleelementen bereichert werden – nur: was sind eigentlich Spieleelemente? Wo beginnt das Game in den unendlichen Weiten des Internets?
Ist es schon als spielerisches Element zu sehen, wenn sich Artikel nicht hinter Textlinks sondern hinter Bildern verbergen? Wie bei der „Museumsplattform NRW“, Preisträger 2013. Dort wird man von Stichwort zu Stichwort weitergeleitet, anstelle einer klaren Recherchelinie durch das Angebot zu folgen. Ganz sicher ist es aber spielerisch, wenn der Nutzer selbst eine „Reise durch das Sonnensystem“ antritt, wie bei einem 2005 nominierten Angebot, auch wenn die Auswahlmöglichkeiten noch eingeschränkt waren. Bei einer Reihe von Angeboten des deutsch-französischen Senders ARTE ist klar zu erkennen, dass sie sich immer mehr in Richtung eines Spiels bewegen: War bei dem 2011 prämierten „Prison Valley“ noch der Clou, dass sich der Nutzer mithilfe von Spieleelementen auf einen individuellen Rundgang begeben und mit anderen Nutzern in Kontakt treten konnte, konnte man bei dem 2014 ausgezeichneten Doku-Game „Fort McMoney“ darüber hinaus bereits mit den Protagonisten des Angebotes sprechen und musste selbst über die Zukunft der Stadt entscheiden – wurde am Ende aber auch an seinen Entscheidungen gemessen. Ganz klar ein Newsgame war dann das 2015 nominierte „Refugees – 4 Monate, 4 Camps“, bei dem der Nutzer in die Rolle eines Reporters schlüpft und unter Zeitdruck eine Reportage aus einem Flüchtlingscamp erstellen muss. ARTE-Redakteur Uwe-Lothar Müller berichtet in dieser Publikation über den Entstehungsprozess dieses Angebotes.
Um Newsgames geht es auch im Beitrag von Marcus Bösch, der mit seiner Firma „the Good Evil“ eben diese produziert. Und auch Benjamin Rostalski von der Stiftung Digitale Spielekultur geht darauf ein, spricht gar vom Computerspiel als neuem Leitmedium und reflektiert den Begriff der Publizistik im Spiel.
Dieser Begriff der Publizistik ist auch der zentrale Punkt des Grimme Online Award: Er ist ein Preis für publizistische Websites und Apps – die durchaus auf das Mittel der spielerischen Vermittlung zurückgreifen dürfen, wie auch die Grimme-Direktorin Dr. Frauke Gerlach im Interview erläutert. Das Spiel muss dabei aber über den reinen Selbstzweck hinausgehen. Ein Spiel, das nur seine eigene Geschichte transportiert, ist zu wenig. Wenn das Spiel aber genutzt wird, um einen Sachverhalt besser darzustellen, ihn zu illustrieren, passt es gut in den Betrachtungsbereich des Preises. Das Spiel muss sich also in den Dienst des Inhalts stellen – und der Inhalt sollte sich gut in Form eines Spiels oder mit spielerischen Elementen vermitteln lassen.
Oft kommt es vor, dass Spieleelemente nur eingesetzt werden, um ein Angebot vermeintlich moderner und attraktiver für schwer zu begeisternde Nutzergruppen zu gestalten. Memorys, kleine Jump and Runs oder Varianten des Schiebespiels „2048“ stehen aber neben den eigentlichen Inhalten und haben mit deren Vermittlung nichts zu tun. Das kann hilfreich sein, um den Nutzer bei der Stange zu halten oder um ihm vielleicht im Fluss der Informations- oder Wissensvermittlung ein paar Minuten Entspannung zu gönnen.
Die eigentliche Entwicklung sind aber die Spiele, die selbst die Informationen vermitteln. Hier ist allerdings die Produktion wesentlich aufwendiger, weil nicht auf vorgefertigte Baukästen zurückgegriffen werden kann, sondern eine Story entwickelt und umgesetzt werden muss. Game-Entwickler machen so etwas schon lange – aber im wenig profitablen publizistischen Bereich? Nur damit die zu vermittelnden Inhalte erlebbarer werden und sich besser festsetzen?
Solch komplexe Spielhandlungen zur Informationsvermittlung können mit vertretbarem Aufwand noch gar nicht so lange produziert werden. Damit aber überhaupt mehr Menschen über Spiele an Informations- und Bildungsinhalte herangeführt werden können, müssen sie diese auch erreichen. Entscheidend ist dabei auch die technische Entwicklung mit hohen Bandbreiten und leistungsstarken Computern. Sie macht es möglich, dass Durchschnittsnutzer – nicht etwa Hardcore-Gamer – die aufwendigen Spiele zu Hause spielen können.
So ist der Game-Bereich inzwischen aus der „Schmuddelecke“ herausgekommen, spielerische Elemente auch bei ernsthaften Themen sind nicht mehr verpönt, sondern das Experiment wird im Gegenteil hoch anerkannt. So attestiert Christian Esch Computerspielen im Interview sogar dass sie selbstverständlich Kultur, manchmal sogar Kunst seien. Im Feuilleton seien sie allerdings noch nicht angekommen. Kein Wunder also, dass es ein eigenes Mediengenre gibt, das sich auf seine eigene Art der Spiele-Kritik widmet: „Let’s Plays“, wie sie Daniel Heinz in seinem Beitrag beschreibt.
Und so erwarten wir auch, dass sich in Zukunft im Bewertungsspektrum des Grimme Online Award noch mehr Spiele und spielerische Elemente finden werden. Oft werden sie heute schon so geschickt eingesetzt, dass der Nutzer kaum merkt, dass es sich um Spieleelemente handelt. Informationsinhalte und spielerische Interaktion fließen wie selbstverständlich zusammen, die Nutzer werden in die Geschichten reingezogen und gefesselt, die Informationsvermittlung erfolgt quasi nebenbei. Mission erfüllt.
Zuerst veröffentlicht in der Preispublikation des Grimme Online Award 2016.
Autorin: Vera Lisakowski
Titelbild: Grimme-Institut / Georg Jorczyk